Berghain „10“ – Ausstellung

Berhain - 10
Aufbau von Friederike von Rauch (Bild: Zsu Szabo)

Der Berliner Club Berghain ist ein Symbol für unsere Gegenwart: Als einer der letzten verbliebenen Oasen der Freiheit und Überschreitung erzählt er von einer Gesellschaft, deren Bedürfnis nach dem Exzess und der temporären Befreiung des Selbst größer ist als je zuvor. Gleichzeitig offenbaren die rund 3000 Besucher, die jedes Wochenende in den Club strömen, dass zwischen Instant-Hedonismus und einer rationalen Kosten-Nutzen-Rechnung heute, im neoliberalen Zeitalter, kein Widerspruch mehr besteht.

Genauso wenig wie zwischen Mainstream und Underground, wie das Booking, das von Szenestars, Pophypes und Künstlern experimenteller Musik reicht, regelmäßig beweist. Dass sich die Clubmacher anlässlich des 10-jährigen Club-Jubiläums eine Ausstellung gönnen, entspricht ganz der berghainschen Logik. Denn was könnte die Parallelwelt dieses Clubs besser repräsentieren als die Kunst und ihre Werkzeug zur alternativen Beschreibung von Realität.

Neun Künstler, alle mit persönlichem Bezug zum Club, sind an der Gruppenausstellung beteiligt. Neben dem Türsteher Sven Marquardt, der bereits zu DDR-Zeiten als Kunst-Fotograf arbeitete, sind u.a. Arbeiten der Berliner Künstlerin Sarah Schönfeld, des Malers und Baselitz-Schülers Norbert Bisky und des türkischen Fotografen Ali Kepenek zu sehen.

Im Zentrum der Ausstellung steht jedoch erstmal der Ausstellungsort selbst. Denn die im neoklassizistischen Stil gebaute Halle mit ihren 20 Meter hohen Wänden ist selbst kunstgewordene Architektur. Bedrohlich und erhaben zugleich schweben die überdimensionalen Betontrichter des ehemaligen Heizkraftwerkes über den Besuchern, bevor sie zum ersten Highlight der Ausstellung gelangen, der Installation “Hero’s Journey (Lamp)” von Sarah Schönfeld.

Aus einem vier Meter breiten Glas-Aquarium leuchtet den Betrachtern eine von Gelb in Rot verschwimmende Substanz entgegen. Es ist menschliches Urin, das Schönfeld über mehrere Monate von den Berghain-Toiletten gesammelt hat. Auch die dazu gehörige Installation „Hero’s Journey (Towels)“ im Obergeschoss handelt von einer Körperflüssigkeit. Dort hängen überdimensionale Samthandtücher, auf denen sich horizontale violette Farbstreifen befinden. Sie bestehen aus dem Schweiß von Berghaintänzern, von Schönfeld mithilfe eines chemischen Verfahrens sichtbar gemacht. Damit gelingt es der Künstlerin, der kondensierten Ekstase, die sich allwochenendich auf der Tanzfläche abspielt, ein Bild zu geben.

Mit den unsichtbaren Spuren in einer vom Sichtbaren beherrschten Welt beschäftigt sich auch der Künstler und Musiker Carsten Nicolai, bekannt vor allem für Raster Noton, dem renommierten Label für abstrakte elektronische Musik. In seiner Rauminstallation „thermic“ ist ein unscheinbarer Heizstrahler auf eine weiße Fläche gerichtet – auf der beim näheren Hinsehen thermische Wellen zu erkennen sind – ähnlich wie wabernde Hitzereflexionen auf heißem Asphalt. Wie bei Schönfelds Spurensicherungen geht es auch hier um materialisierte Energie, die man als Metapher lesen könnte für all die ekstatischen Nächte, all die erfüllten und verlorenen Sehnsüchte im Club.

Sex, Verlangen sind seit jeher ein zentraler Bestandteil des Club-Narrativs. Blickt man zurück auf den Club Ostgut, aus dem das Berghain vor 10 Jahren hervorging, ist der heute gelegentlich in den Darkrooms zu beobachtende Sex aber nur ein Echo von den Orgien von damals. Mit dem Technoclub als Magnet für enthemmte, oft homosexuelle Lust, hat sich der polnisch-deutsche Künstler Piotr Nathan in „Traumdeutung 2014“ auseinandergesetzt. Drei glasbedeckte Wände zeigen quasi-authentische Kritzeleien von öffentlichen Herrentoiletten, die, zwischen Notgeilheit und Verzweiflung changierend, das Libido-feindliche Über-Ich spätestens am Clubeingang, abgegeben haben. „Suche geile Ficker, auch Türken. Ruf an: 0171-5283425“ ist dort in unruhiger Handschrift zu lesen.

Auch das ist einer der Gründe, warum der Club in nur wenigen Jahren so berühmt wurde. Er ist einer der letzten Mythen Berlins – einer, in den viel Arbeit investiert wird. Im Buch „Mythen des Alltags“ des französischen Philosophen Roland Barthes heißt es: „Wenn wir das Objekt durchdringen, so befreien wir es, zerstören es aber auch; und lassen wir ihm sein Gewicht, so respektieren wir es, belassen es jedoch in seinem mystifizierten Zustand.“

Dieser Spannungszustand, die gleichzeitige Mystifizierung und Entmystifizierung, ist das, was das Berghain so erfolgreich macht. So ist es seit jeher verboten, im Club zu fotografieren und Viele werden nach mehreren Stunden seligen Wartens in der Schlange einfach abgewiesen. Hat man es dann geschafft, reinzukommen, fragt man sich erstmal: wozu der Hype? Doch spätestens, wenn der unvergleichliche Bass den Brustkorb vibrieren lässt, ist die Skepsis wieder obsolet – und die Besucher werden unweigerlich zu Protagonisten des Clubnarrativs, von dem auch die Ausstellung handelt: Ein nicht enden wollender Kreislauf des temporären Verschwindens des Selbst, der Ekstase und der Auflösung von Zeit.

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