Car Seat Headrest – „Twin Fantasy“ (Rezension)

Cover des Albums „Twin Fantasy“ von Car Seat Headrest (Matador Records)

Car Seat Headrest – „Twin Fantasy“ (Matador Records)

8,5

Will Toledo war gerade einmal 19 Jahre alt, als er am 2. November 2011 ein Album namens „Twin Fantasy“ ins Internet hochlud. In dieser Zeit sprudelten die Songs aus dem US-amerikanischen Workaholic nur so heraus: Es war bereits seine sechste Veröffentlichung unter dem Namen Car Seat Headrest im Zeitraum von nur 18 Monaten.

Genau wie die vorigen EPs und LPs entstand „Twin Fantasy“ in nahezu dilettantischer Eigenregie: Jeder Ton wurde von Toledo selbst in das Mikrofon seines Laptops eingespielt. Doch diese zehn Songs hatten etwas besonderes, etwas, dass sie von den unzähligen Amateur-Produktionen, die auf Soundcloud, Bandcamp und Konsorten herumschwirrten, absetzte. Toledos Songwriting war zu roh, die Arrangements zu aufregend und die Texte zu exzentrisch, um sich von dem schlechten Mikro und dem matschigen Sound zurückhalten zu lassen. „Twin Fantasy“ war ein ungeschliffener Rohdiamant.

Heute muss Toledo nicht mehr alleine in seinem Schlafzimmer aufnehmen. Dank zwei erfolgreichen Alben, „Teens Of Style“ und „Teens Of Denial“, sowie einem lukrativen Deal mit dem Szene-Label Matador arbeitet er im Jahr 2018 mit einer eingespielten Band. Außerdem stehen ihm die Türen zu zahlreichen Studios offen. Sechs Jahre nach seinem ersten Versuch wagt er sich jetzt noch einmal an sein Opus Magnum heran – und lässt seine „Twin Fantasy“ in neuem HiFi-Glanz erscheinen.

Dance-Punk-Depressions und Power-Pop-Symphonien

War der Opener „My Boy“ im Jahr 2011 noch ein vom Hall verwaschenes Mantra, so klingt er in der neuen Version klar und präzise. Der Song demonstriert sehr gut den schwierigen Balanceakt, den Toledo (auch als Produzent dieser Platte) gemeistert hat: Die Ecken und Kanten des alten Sound wurden abgeschliffen, ohne den Charme und die rohe Emotionalität des Originals einzubüßen. Wenn sich zum Ende hin die verzerrten Gitarrenwellen überschlagen, tun sie das klar definiert und trotzdem überwältigend.

Neben dem neuen Sound hat Toledo auch die Arrangements von Car Seat Headrest angepasst: Die sich in die Höhe schraubende Hookline der Hymne „Nervous Young Humans“ wird nun von Synthesizern unterstützt, während Toledos Drummer Andrew Katz den Beat in Richtung Dancefloor peitscht. Mit ähnlicher Elektronik vermengt „Boys“ die Melodieverliebtheit von Big Star mit der Dance-Punk-Depression von LCD Soundsystem. Und das im Original schon zehn Minuten schwere „Famous Prophets (Stars)“ wurde um sechs Minuten verlängert, inklusive Posaunen und Trompeten. Was auf dem Papier nach unnützem Pomp klingen mag, funktioniert im Kontext jedoch wunderbar – im Outro lassen die euphorischen Blechbläser-Fanfaren direkt das Herz aufgehen.

Und dann ist da noch das Herzsstück dieser Zwillingsfantasie: die schizophrene Power-Pop-Symphonie „Beach Life-In-Death“. Wie in einem Fiebertraum lässt der Song zahlreiche Fragmente fließend ineinander übergehen und wechselt in Sekundenbruchteilen zwischen laut und leise. Dazu schreit Toledo sich seine Verzweiflung aus dem Leib: „It‘s not the sadness that hurts you / It‘s the brains reaction against it“. Auch im neuen Gewand ist es ein beeindruckendes Stück Pop-Musik – genau wie der Rest dieser wunderbaren Platte.

Veröffentlichung: 16. Februar 2018
Label: Matador Records

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