Das Avantgarde-Festival: Three Days of Utopia

Von alex

Faust live by Erin TrosethFoto: Faust live by Erin Troseth

Harmonie und Disharmonie können sehr nah beieinander liegen, das zeigte sich am letzten Wochenende beim Avantgarde Festival – ein einträchtiges Miteinander bei bisweilen recht disharmonischen Klängen. Gastgeber des Festivals war zum mittlerweile neunten Mal Jean-Hervé Péron, Mitbegründer der legendären Krautrocker Faust. Er und seine Frau Carina Varain öffnen jeden Sommer ihren Hof für Connaisseure experimenteller Klänge.

Im idyllischen Schiphorst in Schleswig-Holstein versammeln sich da drei Tage lang ein paar hundert Musikfreunde. Ein übersichtliches und angenehm erwachsenes, unszeniges Publikum ist das, eher Hippie als Hipster. Das Beisammensein ist unglaublich entspannt – die Kunst steht hier eindeutig im Vordergrund. Und damit sind wir bei dem mitunter auch disharmonischen Teil des Festivals: Denn das, was sich hier auf der Bühne abspielt, ist nicht immer melodiös und im herkömmlichen Sinne wohlklingend – es darf auch mal krachen und dissonieren. Nicht etwa, weil die Musiker ihr Instrument nicht beherrschten (im Gegenteil), sondern weil der Begriff von „guter Musik“ oder Musik im Allgemeinen hier weiter gefasst wird.

Klar darf auch mal getanzt werden, wie bei den Londoner Glam-Kids Maria & The Mirrors oder den Hamburgern The Ape, aber seichte Berieselung oder stumpfe Partymucke sind hier fehl am Platz. Die Musik und die Performances beim Avantgarde Festival erfordern genaues Zuhören und eingehende Betrachtung – und dem kommt das Publikum andächtig nach, denn es möchte verstehen, was ihm dargeboten wird. Das Line-Up setzt sich zusammen aus einer ausgewogenen Mischung von männlichen und weiblichen Künstlern – es reicht von Solo-Musikern bis zu Orchestern, von ganz jungen Künstlern bis zu Musiklegenden, die Musiker rekrutieren sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft oder kommen aus Japan und den USA angereist.

Das „Umuligt Instrument“, also das „unmögliche Instrument“, beispielsweise ist eine junge Dänin, die in einer fleischfarbenen Ganzkörper-Strumpfhose gewandet auf ihrem verkabelten Körper durch Klopfen und Reiben Musik macht. Oder die junge Hamburgerin Fee Kürten alias Tellavision, die ebenfalls ganz allein auf der Bühne steht und das Publikum mit ihren Klängen verzaubert – erzeugt auf teils traditionellen Instrumenten (Gitarre, Synthesizer), teils unkonventionellen Gerätschaften (wie Pappkartons), geloopt und begleitet durch ihre feine Stimme. Erst 16-jährig sind außerdem drei Schülerinnen, die angeleitet durch den Hamburger Musiker Sascha Demand Musik mit Papier machen.

Aber auch grauhaarige Herrschaften sind vertreten – wie beispielsweise der Franzose Charlemagne Palestine: Ein kleiner zerzauster Herr sitzt auf der Bühne, gekleidet mit pinkfarbener Hose, auf seinem bunten Hemd sind Hundewelpen abgedruckt, zu seiner Rechten liegt ein ganzer Haufen Kuscheltiere. Meditative Klänge dringen aus seinem Laptop, dazu reibt er sein Rotweinglas und macht Geräusche, eine Art Summen. Zunächst ist man vielleicht noch leicht belustigt, wird aber irgendwann von der Musik gefangen, gerät schließlich in einen fast meditativen Zustand und ist zum Schluss ganz ergriffen durch seine immer eindringlicher werdende Stimme.

Alljährliche Highlights sind der Auftritt des Gastgebers selbst mit Faust & Friends und die Performance von Uwe Bastiansen (u.a. ehemals Abwärts), der als Stadtfischflex bei jedem Festival andere Musiker um sich schart. Großartig auch das fünfköpfige Hamburger Tumorchester und das norwegische Duo Psykisk Tortur. Unbedingt zu erwähnen ist auch der heimliche Star des Festivals: die sagenhaft deliziöse „Avantgarde-Wurst“, erzeugt vom ortsansässigen Metzger.

Enttäuschend hingegen der von den Einen als „weltbester Entertainer“ betitelte, von den Anderen als weltnervigster Selbstdarsteller empfunden: Zan „Bodycocktail“ Hoffman. Ein Teenager im Körper eines erwachsenen Mannes, der sich schon für das Aussteigen aus dem Taxi feiern lässt und nie ohne sein „Hello Kitty“-Handtuch unterwegs ist. Ein wenig unangenehm berührt auch Tonia Reeh, die (mit zugegebenermaßen beeindruckendem Organ zu virtuosem Klavierspiel) über einen Eimer voll Scheiße und das Auf und Ab beim Oralverkehr singt.

Aber vollkommen gleichgültig, ob etwas gefällt oder nicht, die Zuhörer begegnen sich hier gegenseitig sowie allen Künstlern mit dem gebührenden Respekt. „Three Days of Utopia“ lautet der Untertitel des Avantgarde Festivals – und tatsächlich verwandelt sich Pérons Bauernhof in Schiphorst während dieser Tage in eine kleine wunderbare Parallelwelt. Im kommenden Jahr feiert das Festival seinen zehnten Geburtstag und wir dürfen schon jetzt gespannt sein, womit Jean-Hervé uns zu diesem Anlass überraschen wird.

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