Drangsal – „Zores“ (Rezension)

Cover des Albums „Zores“ von Drangsal (Caroline)

Drangsal – „Zores“ (Caroline International)

7,5

Zu Beginn ein Blick ins Wörterbuch. Dort ist erstens zu lesen unter „Zores, der“: „Ärger, Gezänk, Wirrwarr“. Und zweitens: „Gesindel“.

Schon zur Veröffentlichung seines ersten Albums „Harieschaim“ im Jahr 2016 stilisierte sich Max Gruber alias Drangsal als Störenfried und Gesindel des Pop. Popmusik, die Reibung erzeugt, Popmusik, die auffällt, Popmusik mit Haltung – das waren seine Anliegen. Wie er in Interviews zu seinem neuen Album, das eben „Zores“ betitelt ist, zu Protokoll gibt, fiel auch die Wahl der ersten Single seines Zweitlings, „Turmbau zu Babel“, durchaus aus Gründen der Provokation. Maximal eingängig sollte es sein, sich ohne Hemmungen an die HörerInnen ranschmeißend.

„Zores“ umfasst zwölf neue Lieder, davon sind nur noch drei englischsprachig. Bereits auf Drangsals ersten Album befand sich ein deutschsprachiger Song, zuletzt kam der Refrain in Caspers „Keine Angst“ auf Deutsch. Die deutschsprachigen Texte und die große Popgeste rufen düstere KritikerInnen auf den Plan: Schlagervorwürfe wollen hinausgeschrien zu werden und der Farin Urlaub der 80er-Jahre hält immer wieder als Vergleich hin.

Der Sound auf „Zores“ ist organischer geworden, mehr Bandsound, weniger Synthies und Computer. The Cure und The Smiths liegen nach wie vor als Referenzen auf der Hand, gerade was die Gitarren angeht. Die Texte auf „Zores“ kreisen thematisch meist um Verlangen und Liebe, aber eben auch um die Entwicklung einer Haltung, ums Aufbegehren. Dass es textlich neben leidenschaftlich ersehnten Küssen auch um (sexuelle) Selbstermächtigung vs. Autoritätsgehorsam geht, geht während der Schlager-Debatte um Drangsal, wie sie hie und da bewässert wird, verschütt.

„Fasst euch den Mut / Denn ab heute wird für niemanden mehr pariert“

Es hagelt von Albumbeginn an einsilbige Endreime. Doch Drangsal gelingt es, dass sich in den Zeilen etwas tut, erzählt etwas dazwischen. Vor allem die Songs der ersten Albumhälfte überzeugen, so zum Beispiel „Jedem Das Meine“ oder „Und Du? Vol. II“. Auch dort wagt sich Drangsal mit seinen Zeilen aufs Glatteis. Während die einen weiter mit den Zähnen knirschen, freuen sich die anderen diebisch, wenn es heißt „Gegen die Decke meines Schädels / Schlägt ein Spalier junger Mädels / Und du schaust mir hilflos zu / Gegen die Wände meines Herzens / Halten hundert junge Jungs heiße Kerzen / Doch du schaust nur hilflos zu“.

Die zweite Hälfte der Platte baut allerdings leider etwas ab, was auch an der Übergewichtung der englischsprachigen Songs am Ende liegen mag. Sie wirken ein wenig fremdartig und zerrütten den Fluss des Albums. Da hätte eine Umverteilung auf der Tracklist vielleicht gutgetan. Dabei sind Songs wie „ACME“, welcher das Album schließlich in einem Lärmgewitter enden lässt, keineswegs verkehrt.

Im Intro-Magazin sagte Max Gruber alias Drangsal jüngst: „Wir müssen uns insgesamt wieder trauen, mehr Pop zu sein! Wenn du das neue Album von Die Nerven hörst, ist das auch als Pop getaggt. Das ist wichtig: dass wir nicht immer Punk oder Noise-Pop sind, sondern dass wir die deutschen Pop-Musiker werden!“

In einer erschreckend haltungsarmen Popwelt, in der der wahre Schlager die Gesichter von Max Giesinger, Mark Forster, Helene Fischer und Konsorten spazieren trägt, ist einer, der ein wenig Kontroverse und Ärger ins Spiel bringt, dessen Musik man auch durchaus beherzt kacke finden kann, durch und durch wünschenswert. Und nachdem nun gerade der Echo an sich selbst erstickt ist, ist es vielleicht auch ein sehr guter Zeitpunkt, deutsche Popkultur und Musikindustire neu zu entwerfen. Drangsal steht mit seinem Album „Zores“ schon einmal bereit und wartet auf WeggefährtInnen.

Veröffentlichung: 27. April 2018
Label: Caroline International

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