Es lockt die Kiste mit hellem Leuchten oder Kneipendemokratie

Von michaelhager, 23. November 2009

Am 23.11.1899 installierte die Pacific Phonograph Company die erste Jukebox im Palais Royal Hotel in San Francisco. Seit genau 110 Jahren also erfreuen sich die Besucher von Kneipen, Tanzcafés und Milchbars an der Möglichkeit, ihre Wunschmusik zu hören.

Standen in den frühen Jahren vor allem noch ökonomische Aspekte im Vordergrund – es war nicht mehr nötig eine Kapelle zu engagieren, um das Publikum mit Tanzmusik zu unterhalten – wurde die Jukebox im Deutschland der fünfziger Jahre vor allem zum Symbol für den Rock’n’Roll.
Zwar setzte sich der Name „Jukebox“, frei übersetzt „wilde Kiste“, in Deutschland nicht durch. Der Verbreitung der „Musikbox“, wie sie hier genannt wurde, tat das aber keinen Abbruch. Zwischen 1955 und 1960 verzehnfachte sich ihre Zahl in Westdeutschland auf 50.000 Exemplare. Jugendliche, die weder Radio noch Plattenspieler besaßen, konnten so trotzdem ihre Lieblingsmusik hören.

Und heute? Was ist los mit der Jukebox in einer Zeit, in der Musik immer und überall verfügbar ist?
Ein Blick in die Kneipen von St. Pauli soll Aufschluss geben.

Fünf Kneipen hatte ich mir im Vorfeld ausgesucht, indem ich bei Ortsansässigen nachgefragt habe, wo noch Jukeboxen zu finden seien. Schon auf dem Weg zu meiner ersten Station, dem „Silbersack“, wurde aber klar, dass meine Liste mehr als unvollständig war. In fast jedem dritten Fenster lockt eine der Kisten mit hellem Leuchten.

Vor einem der Fenster bleibe ich kurz stehen. Ein junger Mann macht sich an einem bunten Automaten zu schaffen, hält kurz inne und dreht sich dann mit stolzer Miene und einem Jaulen zu seinen Mittrinkern um. AC/DC. „T.N.T“. Und dann plötzlich laute „Oi“-Schreie und Luftgitarrenspiel am Tresen. Das fängt ja vielversprechend an.

Weiter zum „Silbersack“. Vor der Jukebox ist genug Platz zum Tanzen. Die Leute sitzen aber dicht gepackt an ihren Tischen. Die Frau am Tresen hat nicht richtig Lust, sich mit mir über das Ding zu unterhalten und deutet auf einen jungen Mann am Ende der Bar. Die Jukebox, sagt der, gebe es schon so lange wie die Kneipe selbst, und dass sie da stehe „weil sie immer schon da steht“. Der Aufbau kam dann aber erst später. Jetzt spielt das Ding Schallplatten und CDs. Das hier sei eben St. Pauli, sagt er, und deswegen hörten die Leute hier auch am liebsten Hans Albers, Freddy Quinn oder Udo Lindenberg. Und seine eigenen Lieblinge? „Die 535, die 581 oder die 428“, sagt er ohne zu überlegen. Zu den Klängen der 428, Freddy Quinns „Ganz da hinten wo der Leuchtturm steht“, verlasse ich die Kneipe und gehe weiter zum „Old Sailor“ in die Hein-Hoyer-Straße.

Im „Old Sailor“ ist noch nichts los und die groß gewachsene Frau hinter dem Tresen gibt mir bereitwillig Auskunft. Wieso denn hier überhaupt eine Jukebox stehe, frage ich sie. „Die gehört da hin. Die steht da schon seit hundert Jahren. Also gefühlt.“ Kölsche Musik und Hamburger Lieder seien hier besonders beliebt. Auf die Frage nach ihren persönlichen Favoriten das gleiche Bild wie im Silbersack. Keine Sekunde muss sie überlegen und nennt mir die Nummern: „die fünfundneunzig einundzwanzig, die dreiundneunzig elf und die einundvierzig zwölf.“ De Boore, Lotto King Karl und die Dire Straits.

Ich mache mich auf zum Hamburger Berg. Die Jukebox-Dichte hier ist erstaunlich. Im „Knallermann“, eine Tür weiter im „Zum Goldenen Handschuh“, gegenüber im „Lucky Star“, im „Kiek Ut“ und ein paar Meter weiter im „Schlemmereck“. Überall sind gut zugänglich Jukeboxen aufgestellt. Ich habe mir das „Hotel Hongkong“ notiert. Der Mann hinter dem Tresen kann mir keine Lieblingslieder nennen. „Das Ding plärrt von elf bis sechs Uhr früh durchgehend. Von mir aus müsste hier gar nichts laufen. Bei der Lautstärke versteht man eh nicht, was da läuft“, lässt er mich wissen. Das Gerät hier ist das modernste, das ich bisher gesehen habe. Ein Kasten halb so groß wie ein Zigarettenautomat mit einem Touchscreen vorne dran. Für die alte Jukebox gab es keine Ersatzteile mehr und der neue Apparat wird vom Aufsteller bestückt. Aha. Sogar Bon Iver ist da drin. Bisher war es still im Hotel Hongkong – und dann schmeißt doch noch eine Frau die Maschine an. „Born In The U.S.A“ läuft an. Kaum Regung an der Theke. Ich gehe weiter.

Es ist 22 Uhr und der Chef vom „Na Und?“ in der Wohlwillstraße hat viele Gäste und keine Zeit für mich. Ich warte ab und unterhalte mich solange mit einem Mann, der an der Jukebox steht. „Irgendjemand schmeißt Geld rein und dann teilen wir uns das. Manchmal hört man die Stücke gar nicht, die man aussucht. Das macht aber nix. Das gehört dazu“, sagt er. Er freue sich auf die Jukebox, wenn er in die Kneipe gehe.
Und was hat er ausgewählt? „Udo Lindenberg.“ Tatsächlich. Zwanzig Minuten lang nur Udo Lindenberg. Von hinten schreit einer „Super! Geht doch!“ und zwei Anzugträger fangen an zu tanzen. Ich bestelle mir ein Bier und beschließe, noch kurz zu bleiben.
Und dann hat der Chef doch noch Zeit für mich. Sein Lieblingslied in der Maschine ist die neunundfünfzig null drei. „’Heavy Cross‘, von so ’ner Tante. Keine Ahnung wie die heißt.“ Und warum hat er eine Jukebox in der Kneipe und lässt nicht einfach eine CD durchlaufen? „Weil’s geil ist! Und weil’s Kohle bringt. Da wär ich ja schön blöd.“

Apropos Geld. Wer sich einen Kneipenbesuch leisten kann, kann sich auch den Spaß leisten, die Jukebox zu bedienen. Für nur zwei Euro kann man, je nach Gerät, zwischen acht und fünfzehn Liedern abspielen. Das reicht dann im besten Fall für eine gute dreiviertel Stunde der eigenen Lieblingslieder. Mit der Demokratie ist es dann zwar nicht mehr weit her. Es macht aber auch Spaß, sich mal selbst zum Musikdiktator aufzuwerfen.

Viele der Leute, mit denen ich mich unterhalten habe, bekamen ein nostalgisches Leuchten in den Augen, als sie von ihrer Jukebox sprachen. Vielleicht ist das Bedienen einer Jukebox ja eine Flucht in einfachere Zeiten. Und die Jukebox das ewige Relikt, das nie verschwindet.

Jukeboxen dieser Welt, alles Gute zum Geburtstag. Möget ihr noch lange laufen.

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Diskussionen

3 Kommentare
  1. posted by
    Links vom 23. November 2009 | Testspiel.de
    Nov 23, 2009 Reply

    […] Es lockt die Kiste mit hellem Leuchten oder Kneipendemokratie : ByteFM Magazin Die Jukebox hat Geburtstag. […]

  2. posted by
    dennis kastrup
    Nov 24, 2009 Reply

    hach, für mich ist die jukebox mega nostalgisch. sie hat mich praktisch zu dem gemacht, was ich bin: meine großmutter hat jukeboxen in kneipen aufgestellt. ich bin als kind immer mitgegangen. so erklärt sich wohl meine liebe zu bars und musik. außerdem war mein allererster radiobeitrag auch über den geburtstag der jukebox. also: ein herzliches „happy birthday“ von mir!

  3. posted by
    Der Mytos der Jukeboxlieder, Teil 2 | Konspirative KüchenKonzerte
    Feb 25, 2011 Reply

    […] mit I-Fire und pop.ac dann der wegweisende Umschwung: Moderator Marco gibt Enno den Auftrag auf der Jukebox ein jeweils zu Band oder Künstler passendes Lied als akustisches Endsignal zu drücken. Für die […]

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