Joe Goddard – „Electric Lines“ (Rezension)

Von Philipp Steffens, 22. April 2017

Cover des Albums „Electric Lines“ von Joe Goddard (Domino)Joe Goddard – „Electric Lines“ (Domino)

Veröffentlichung: 21. April 2017
Web: www.joe-goddard.com
Label: Domino

6,5

Als Teil von Hot Chip wurde Joe Goddard weltberühmt, sechs Alben hat die Band bereits produziert. Seit 2010 ist er außerdem mit Raf Rundell als The 2 Bears aktiv, das Duo kann auf zwei gemeinsame Alben und eine Mix-CD zurückblicken. Zudem arbeitet Goddard auch als Remixer, unter anderem für Busy P, Goldfrapp und Disclosure.

Erfahrung im Schreiben von Songs hat Goddard offensichtlich. Umso rätselhafter ist es also, dass er „Electric Lines“ mit einer uninspirierenden und bisweilen sehr cheesigen Nummer beginnt. „Ordinary Madness“ läutet das Album mit euphorischem Allerwelts-Pop, einigen groben Hot-Chip-Artefakten und einem unangenehmen Flanger-Effekt auf den Vocals ein. Gerade letzteres ist ein schmaler Grat zwischen künstlerisch-abstrakter Verzerrung der menschlichen Stimme und dem Flair eines schon mittags betrunkenen Autoscooter-Betreibers. Gemeistert wird diese Gratwanderung leider nicht. Auch textlich bewegt sich der Song allerhöchstens auf einem sehr seichten Niveau. Die Superlative zum Beschreiben der Liebe erzeugen allerhöchstens Fremdschämen anstatt Affektion. Wo ist der Charme von Goddards anderen Werken, in denen er experimentelle Elemente aus House und Disco in den Mainstream transportierte?

Glücklicherweise finden sich diese ebenfalls auf „Electric Lines“. In „Home“ spielt Goddard mit dem Arrangement so sehr, dass man mehr als einmal schauen muss, ob nicht aus Versehen zwei Songs gleichzeitig laufen. Lo-Fi-Disco-Parts mit reduzierten Anlehnungen an Funk und Soul wechseln sich mit modern produzierten Pop-Momenten ab. Gepaart wird dies mit einer trägen, sommerlichen Stimmung, die dem Stück eine wohlige Melancholie verleiht. Das plötzliche Einsetzen der stilistisch so verschiedenen Abschnitte erzeugt ein surreales Gefühl, als gäbe es hinter jedem Takt des Songs etwas zu entdecken. Mutig spielt Goddard hier mit Hörerwartungen.

„Ordinary Madness“ und „Home“ sind bezeichnend für „Electric Lines“, denn es scheint, als würde Goddard regelmäßig zwischen zuckerwattesüßem Pop und wirklich aussagekräftigen Tracks mäandern: „Children Of The Sun“ ist ein emotionales, melodisches Technostück. Aufbau, Spannungsbogen und die intelligente Weise, wie sich hier verschiedene Klangebenen abwechselnd in den Vordergrund schieben, zeugen von Goddards feinem Gespür für Dancefloor-Dramaturgie. „Human Heart“ hingegen ist wieder eine klischeegefüllte Pop-Geschichte, die sich ironischerweise in den Lyrics selbst sehr gut beschreibt: “It’s better that we don’t say anything more about it.”

Weiterer Lichtblick wiederum ist das experimentelle Stück „Lasers“, in dem ein trockener Beat eine Synthesizerline umspielt, die den kargen Raum nur vorsichtig füllt. Für den titelgebenden Track „Electric Lines“ lieh Alexis Taylor von Hot Chip seine Stimme. Doch dieses kleine Aufblitzen der so erfolgreichen Band wirkt unspektakulär.

„Electric Lines“ ist ein abwechslungsreiches Album, aber nicht kohärent. Seine stärksten Momente hat das Album, wenn Goddard seine Pop-Vergangenheit hinter sich lässt und stattdessen mit allerlei elektronischem Spielzeug tüftelt. Wer hingegen intelligenten Pop abseits des Mainstreams hören möchte, muss wohl auf das nächste Album von Hot Chip vertröstet werden.

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