John Lennon wäre 80 geworden: Der Beatle in sieben Songs

Foto von John Lennon. Das Gründungsmitglied von The Beatles wäre am 9. Oktober 2020 80 Jahre alt geworden.

John Lennon

Wo fängt man an bei John Winston Lennon? Der am 9. Oktober 1940 in Liverpool geborene Künstler ist zweifelsohne eine der wichtigsten Figuren der Pop-Kultur. Und das nicht nur als Teil einer der vermutlich populärsten Bands der Welt. Privat war er ein mitunter gewalttätiger, übergriffiger Mensch, nach eigener Aussage und aus externen Quellen belegt. Doch in der Öffentlichkeit war er das Gesicht der im Zuge des Vietnam-Kriegs aufblühenden internationalen Friedensbewegung. Mit seiner zweiten Ehefrau Yoko Ono bildete er lange Zeit die Speerspitze der künstlerischen Avantgarde. Allein als Solokünstler schuf er zahlreiche Songs, die Teil des kulturellen Allgemeinguts geworden sind. „Imagine“. „Instant Karma“. „Give Peace A Chance“. Etc. pp.

Vielleicht fängt man einfach bei The Beatles an. Hätte Lennon 1956 nicht eine Skiffle-Gruppe namens The Quarrymen gegründet und im Zuge dessen einen jungen Musiker namens Paul McCartney kennengelernt, wäre die Pop-Kultur heute nicht das, was sie ist. Gemeinsam mit George Harrison und Ringo Starr schuf die Band nicht nur einen Großteil der Grundlagen des modernen Pop – sie definierten auch, was dieser Pop alles sein konnte. Sie starteten ihre nur ein Jahrzehnt umfassende Karriere als Chart-Sensation, die die Welt im Sturm eroberte. Sie beendeten sie als musikalische und kulturelle Konventionen sprengende Künstler.

Am 8. Dezember 1980 wurde Lennons Leben von Mark David Chapman mit vier Schüssen in den Rücken beendet. Heute, am 9. Oktober 2020, wäre der Musiker 80 Jahre alt geworden. Wir blicken zurück auf sein Schaffen als Mitglied der wahrscheinlich wichtigsten Band der Pop-Musik: Das hier ist der Beatle John Lennon in sieben Songs. Ein Lied pro Album, beginnend mit dem fünften Studioalbum (und zweiten Beatles-Soundtrack) „Help!“ und endend mit der letzten LP „Let It Be“:

„Help“ (1964)

The Beatles wurden so schnell zu einem globalen Phänomen, dass den Mitgliedern wortwörtlich schwindelig wurde. Im August 1960 begannen sie, damals noch als Quintett mit Stuart Sutcliffe am Bass und Pete Best am Schlagzeug, eine Konzertresidenz in Hamburg. 1962 veröffentlichten sie, in der Quartett-Formation, die sie bis zum Ende behalten sollten, ihre Debütsingle „Love Me Do“.

Am Ende des Jahres toppten sie mit dem Nachfolger „Please Please Me“ zum ersten Mal die UK-Charts. Ein bisschen mehr als ein weiteres Jahr später hatten sie in der Ed Sullivan Show ihr US-amerikanisches Fernsehdebüt – und der Rest ist Geschichte. „Beatlemania“, in ihrer Heimat und im Rest der Welt. Unzählige Nummer-eins-Hits. Ausverkaufte Stadiotourneen, bei denen das Kreischen der Fans die Musik übertönte.

The Beatles waren erfolgreich mit präzise komponierten, aber oberflächlichen Lovesongs. Das Haupt-Songwriting-Team Lennon/McCartney wahrte stets eine leicht zugängliche Fassade, die sie zu einer gigantischen Projektionsfläche für die Masse machte. Auf „Help“, der 1965 erschienenen Titelsingle des gleichnamigen Albums und Filmsoundtracks, ließ Lennon zum ersten Mal diese Fassade bröckeln. „Ich war fett, depressiv und schrie nach Hilfe“, sagte er später dem Magazin Playboy. Der erst 24 Jahre junge Songwriter zeigt sich hier vom gigantischen Erfolg überfordert, sehnt sich in seine unschuldige Jugend zurück. In bester Beatles-Manier kommt dieser wortwörtliche Hilfeschrei als unfassbar eingängiger Pop-Song daher – der hier aber zum ersten Mal die Verletzlichkeit seines Schöpfers in den Vordergrund rückt.

„Norwegian Wood (This Bird Has Flown)“ (1965)

Auf ihrer nächsten LP „Rubber Soul“ erweiterten The Beatles nicht nur ihr Klangrepertoire mit Sitar-Drones, Fuzz-Bass und Barock-Pianos – auch der Songwriter John Lennon entwickelte sich weiter. Mit „In My Life“ und „Norwegian Wood“ schrieb er zwei sehr persönliche Stücke. In letzterem beschrieb er – inspiriert von der introspektiven Poesie Bob Dylans – einen Seitensprung. Lennons Text ist bewusst vieldeutig. Doch eines war klar: Die Zeit des unschuldigen Pilzkopf-Images war vorbei.

„Tomorrow Never Knows“ (1966)

Die LSD-Esoterik, die die Musik von The Beatles bis zum Ende ihrer Karriere maßgeblich prägte, trat zum ersten Mal auf ihrem siebten Album „Revolver“ auf. Der von Lennon geschriebene Abschlusssong „Tomorrow Never Knows“ klingt auch über fünfzig Jahre später wie nicht von dieser Welt. Einer seiner Haupteinflüsse war Drogen-Guru Timothy Learys „The Psychedelic Experience…“, ein Quasi-Handbuch zum LSD-Gebrauch – das von Lennon passenderweise unter dem Einfluss der Droge gelesen wurde. Er instruierte Produzent George Martin, dass der Song wie von 1000 tibetanischen Mönchen gesungen klingen sollte.

Mit verzerrten Tape-Loops, durch rotierende Lautsprecher gejagten Gesangsaufnahmen und ultrakomprimierten Drum-Sounds kam das Endergebnis diesem Plan ziemlich nahe. „Tomorrow Never Knows“ ist ein bizarrer Mutant aus Musique Concrete, Stockhausen-Avantgarde und Proto-Art-Pop, der von Lennons betörend psychedelischem Gesang gleichzeitig geerdet und in höhere Bewusstseinsebenen befördert wird. „Turn of your mind, relax and float downstream.“

„A Day In The Life“ (1967)

„A Day In The Life“, erschienen auf der achten The-Beatles-LP „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, ist schon wieder so ein monumentaler Abschlusssong. Unsterblich wurde er durch das Pop-Song-Konventionen aushebelnde Arrangement, durch die sich auftürmenden Orchesterberge, die drohen, die Lautsprecher zum Zerbersten zu bringen. In all diesem Studio-Wahnsinn versteckte Lennon einen feinsinnigen, betont kleinen Song. Kleine Alltagsvignetten, gerissen aus Zeitungsüberschriften, klingen im Rahmen dieses Lieds wie große Wahrheiten. Zusammen mit dem von McCartney geschriebenen Mittelpart entstand ein Lied über die Magie des Alltags. Einer von Lennons größten Zaubertricks.

„Happiness Is A Warm Gun“ (1968)

Ein anderer Zaubertrick: „Happiness Is A Warm Gun“. Für das neunte Beatles-Album, das selbstbetitelte „weiße“ Album, schrieb Lennon einen Song, der auf dem Papier eigentlich nicht hätte funktionieren können: Ein Flickenteppich aus drei Liedideen, die sich in Atmosphäre, Taktangabe und Musikrichtung radikal unterscheiden. In nur zwei Minuten und 43 Sekunden wechselt das Stück zwischen verstrahltem Psych-Rock über dreckigen Blues bis zu sarkastischem Doo-Wop. Erstaunlicherweise ist nicht nur jeder einzelne Part an sich betrachtet sehr gut, sondern auch die Zusammenstellung. Puzzleteile, die eigentlich nicht passen können, fügen sich plötzlich nahtlos zusammen. Ein Trick, den bis heute unzählige Acts nachmachen, von Radiohead mit „Paranoid Android“ über Weezer mit „The Greatest Man That Ever Lived“ bis zu Tools „Schism“.

„I Want You (She’s So Heavy)“ (1969)

1969 veröffentlichten The Beatles ihr letztes wahres Meisterwerk: „Abbey Road“. So ziemlich alles an diesem Album ist ikonisch, vom Albumcover über Lennons schmierig groovenden Opener „Come Together“ bis zum abschließenden, hochambitionierten Medley. Sogar der Ringo-Starr-Song („Octopus’s Garden“) ist ein Highlight.

In der Mitte dieses Albums lauert ein (für Beatles-Verhältnisse) unterschätztes Meisterwerk: „I Want You (She’s So Heavy)“, hauptsächlich geschrieben von John Lennon. Textlich markiert er eine Rückkehr zum ultradirekten Songwriting ihrer Anfangstage – bei „I want you / I want you so bad / I want you so bad it’s driving me mad“ gibt es nicht viel Raum für Subtext. Musikalisch ist er jedoch ein anderes Biest. Über fast acht Minuten breitet die Band einen dichten Psychedelic-Rock-Groove aus, der mit jeder Wiederholung dringlicher und – wie der Titel verspricht – heavier wird. Am Ende ertränkt Lennon den Song im weißen Rauschen seines Moog-Synthesizers. Mit seiner bedrohlichen Atmosphäre erinnert das Lied an den Düster-Blues von The Doors – klingt aber viel besser.

„Across The Universe“ (1970)

„Let It Be“, das letzte Studioalbum von The Beatles, hätte eigentlich eine rohe Rückkehr zum Live-Sound ihrer Anfangstage sein sollen. Das wurde es nicht. Als die Platte 1970 erschien, war John Lennon schon lange kein Beatle mehr. Er verließ die Band im September 1969, kurz vor dem Release von „Abbey Road“. Produzent Phil Spector vollendete die Aufnahmen der „Let-It-Be“-Sessions, in der Hoffnung, dass seine klebrigen Orchester-Arrangements die von einer zersplitterten Band eingespielten Songs zusammenhalten könnten. Das klappte nicht bei jedem Stück, wie im Fall von McCartneys schmalzigem „The Long And Winding Road“. Doch Lennons „Across The Universe“ profitierte von Spectors Orchester-Pomp. Seine flirrenden Streicher und Bläser bilden einen perfekten Kontrapunkt zu Lennons psychedelischem Folk, in dem die Grenzen zwischen Erde und Weltall, zwischen Englisch und Sanskrit verschwimmen. Das letzte Meisterwerk, das John Lennon als Beatle veröffentlichte.

Mehr über John Lennon hört Ihr heute, am 9. Oktober, um 14 Uhr im ByteFM Magazin mit Nils Lagoda. Ausführlich mit dem Musiker hat sich auch unser Moderator und Beatles-Experte Volker Rebell am 3. Dezember 2015 in seiner Sendung Kramladen befasst. Mitglieder im Verein „Freunde von ByteFM“ können die Sendung in unserem Sendungsarchiv nachhören.

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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