Loyle Carner – „Not Waving, But Drowning“ (Rezension)

Cover des Albums Loyle Carner – „Not Waving, But Drowning“

Loyle Carner – „Not Waving, But Drowning“ (AMF Records/Caroline)

8,0

„Not Waving, But Drowning“, das zweite Studioalbum von Loyle Carner, beginnt mit einem Brief. „I hope this doesn’t come as a surprise / But I’ve fallen for a woman from the skies“, sprechsingt die weiche Stimme des Briten. Adressiert ist der Brief an eine „Jean“. Doch wer ist diese Frau? Vielleicht eine zukünftige Ex-Freundin, der der Londoner Rapper erklärt, dass er sich neu verliebt hat?

Doch mit jeder folgenden Silbe wird klarer: Carner spricht nicht mit einer ehemaligen Geliebten – er spricht mit seiner Mutter. Seine Absicht: Ihr erklären, dass er nun eine neue Frau in seinem Leben hat – doch niemals seine Ursprünge vergessen wird, niemals seine „erste Liebe“ vernachlässigen wird. Seine Worte sind voll ehrlicher Dankbarkeit. „She’s not behind me or behind you / But beside we and beside two.“ Ein ungewöhnlicher Anfang für ein ungewöhnliches HipHop-Album.

Schon auf seinem 2017 veröffentlichten Debüt „Yesterday‘s Gone“ machte Loyle Carner klar, dass er kein gewöhnlicher MC ist. Der Musiker wurde in der jungen Londoner Indie-Rap-Szene neben Acts wie Kate Tempest oder King Krule sozialisiert, was sich auch in seinen gleichermaßen von Wu-Tang Clan wie Damon Albarn inspirierten Beats und seinen introspektiven Reimen erkennen ließ. Auf seinem Zweitwerk lässt er die Welt noch mehr an seinem Innenleben teilhaben – mit zum Teil sehr bewegenden Ergebnissen.

Melancholisch, dankbar, herzerwärmend

Ähnlich wie sein US-amerikanischer HipHop-Kollege Saba lässt Carner allerlei persönliche Tragödien in seine Tracks einfließen: In „Loose Ends“ rappt er über den Tod seines Vaters, in „Krispy“ über den Verlust eines engen Freundes. „Don‘t give a fuck about the money or the E Track / I just want my G back“, rappt er über ein beatloses Instrumental, nur begleitet von einem melancholischen Piano-Motiv. Obwohl die Beats alle detailverliebt und liebevoll konstruiert sind, geben sie stets viel Raum für den Text.

Manchmal fühlt sich dieses Album so an, als würde man durch ein gestohlenes Tagebuch blättern. „Not Waving, But Drowning“ ist eine sehr intime Erfahrung: Carner lässt sein Publikum eng an sich ran, zeigt tiefe Ängste und tiefe Narben. Das kann zum Teil ganz schön an die Substanz gehen. Was die LP davon abhält, in einem Seelen-Striptease zu enden: Carners Geschichten sind fernab jeder Bitterkeit – und in Kombination mit den Soul-Harmonien von Gast-SängerInnen wie Sampha, Jorja Smith oder Jordan Rakei oft einfach herzerwärmend. Ein mit so viel Liebe, Dankbarkeit und Selbstreflexion gefülltes HipHop-Album findet man selten.

Veröffentlichung: 19. April 2019
Label: AMF Records / Caroline

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