Moses Boyd – „Dark Matter“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Dark Matter“ von Moses Boyd

Moses Boyd – „Dark Matter“ (Exodus Records)

Es ist im Jahr 2020 wirklich keine News mehr: Der spannendste Jazz wird derzeit in London gespielt. Daran gemessen, wie sehr die zeitgenössische Szene der britischen Hauptstadt den Rahmen des Genres ausdehnt, Grenzen einreißt und neue Strukturen aufbaut, ist es eine relativ kleine Szene. Bricht man sie auf die Kernfiguren herunter, scheint man nur eine Handvoll Menschen nennen zu müssen, die alle gegenseitig in ihren jeweiligen Projekten mitmischen. Da sind die Saxofonist*innen Nubya Garcia und Shabaka Hutchings, die mit ihren Supergroups Nérija, Sons Of Kemet und The Comet Is Coming den Jazz in politische, genreverschmelzende und interstellare Richtungen weiterdenken. Da ist der mit dem Order Of The British Empire ausgezeichnete Bassist Gary Crosby, der mit seiner Organisation Tomorrow‘s Warriors den jungen Wilden eine Plattform bietet. Dann gibt es Keyboarder Joe Armon-Jones, der mit seinen Tasten sowohl die Band Ezra Collective als auch unzählige andere Projekte veredelt.

Und dann ist da noch Moses Boyd. Der Schlagzeuger aus Süd-London ist ein weiteres prominentes Bindeglied. Er trommelte auf einigen der wichtigsten Jazz-Platten der Szene: auf Sons Of Kemets Durchbruchsalbum „Your Queen Is A Reptile“, Garcias Solowerk „Nubya‘s 5ive“, auf Armon-Jones‘ Fusion-Extravaganza „Turn To Clear View“, oder „Fyah“, dem Solodebüt des Tuba-Virtuosen Theon Cross.

Auch über den UK-Jazz-Tellerrand hinaus ist es schwer, seinen polyrhytmischen Wirbelstürmen auszuweichen: Er war Drummer für Experimental-Soul-Durchstarter*innen wie Sampha oder Kelsey Lu, auch Electro-Pop-Darling Mura Masa schwor auf seine Grooves. Eine Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Gqom-Künstler DJ Lag schaffte es sogar auf den Blockbuster-Soundtrack zum jüngsten Remake von „Der König der Löwen“, kuratiert von niemand anderem als Beyoncé. Wie egal Boyd die stilistischen Grenzen des Jazz sind, zeigte bereits seine hypnotische 2016er Durchbruchssingle „Rye Lane Shuffle“, gemischt von den Folktronica-Weirdos Four Tet und Floating Points.

Grenzen ignorierendes Gesamtkunstwerk

All diese dispersen Fäden – eklektischer UK-Jazz, Electronica, Post-R&B, Afrobeat, HipHop – laufen auf Boyds Solodebüt zusammen. „Dark Matter“ demonstriert ihn nicht nur als meisterhaften Schlagzeuger, sondern auch als kreativen Komponisten und Produzenten. Im Opener „Stranger Than Fiction“ verwebt er ein an Miles Davis erinnerndes Trompetensolo mit Trap-Hi-Hats und kräftigen Bläser-Fanfaren, die auch aus einem Grime-Track stammen könnten. Auch „BTB“ ist große Collagenkunst, ein ohne Widerrede zum Tanz auffordernder Mix aus Afrobeat-Drums, Highlife-Bläsern und Psych-Rock-Gitarren. Wer die wahrscheinlich knusprigste Snare des Jahres hören möchte, muss nur „Only You“ anmachen.

Wie es sich für ein gutes Szene-Bindeglied gehört, sind die Höhepunkte des Albums die Zusammenarbeiten. Garcias omnipräsentes, in seltsamen Bahnen tänzelndes Saxofon ist ein fantastischer Kontrapunkt zu Boyds ultrapräzisem Schlagzeugspiel. Mit „Shades Of You“ hat er der Sängerin Poppy Ajudha ein sonniges Neo-Soul-Kleid gestrickt. Der stampfende R&B-Track „Dancing In The Dark“ passt perfekt zur Raspelstimme von Feature-Gast Obongjayar. In „2 Far Gone“ haut Armon-Jones genau so hypnotisch in die Tasten wie Boyd auf seine Felle. „Dark Matter“ ist mehr als nur Jazz. Es ist ein Grenzen ignorierendes Gesamtkunstwerk – genauso abenteuerlich und bunt wie die Szene, die es repräsentiert.

Veröffentlichung: 14. Februar 2020
Label: Exodus Records

Bild mit Text: Förderveein „Freunde von ByteFM“

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