Musikalischer Umschlagplatz

Von christiantjaben, 3. November 2009

Achtung, Papa erzählt vom Krieg, als es noch kein MP3 Format und kein Internet gab, als es in Plattenläden Fächer gab, die Import hießen und ein paar zufällig dahin gespülte Platten bereit hielten, man ansonsten aber auf das Repertoire der hiesigen Vertriebe angewiesen war, die insbesondere bei Club-tauglichen Sounds lange Zeit wenig Verstand und Liebe aufbrachten. Zu dieser Zeit konnte / musste man nach London fahren, wenn man die richtig heiße Ware aus Englands immer schon agiler Underground Szene oder rare US Importe holen wollte, also so Proto Big Beat Zeug, coolen Acid Jazz artigen Kram, seltsame Raggamuffin Hip Hop Hybride, Banghrascheiß, frühen Drum&Bass oder auch House und derlei. Man schleppte sich einen ab, hoffte, kein Übergepäck bezahlen zu müssen und hatte dann Platten in seinem Koffer, von denen man annehmen durfte, dass in Deutschland höchstens eine Handvoll Menschen die Dinger auch hatten. Und das meiste von dem Zeug – White Label! 10inches! DJ Promos! –würde es hierzulande nie zu kaufen geben. Das war bis Anfang der 90er Jahre so. Dann kam Groove Attack.

Der Laden war 1990 In Wuppertal entstanden als Auswuchs des ehemals bedeutenden Beat Box Imperiums. So eine Art Wiege der deutschen funky funky Szene. Der Club Beat Box in Wuppertal war die erste Anlaufstelle für eine ganze Generation vornehmlich britischer DJs von Gilles Peterson bis Tim Westwood und später Tournee-Epizentrum für Roy Ayers, die Roots und andere stilbildende Acts. Den Groove Attack Laden hatten einige der wichtigsten Beat Box Mitarbeiter gegründet. 1992 zog der Shop nach Köln, in der Folge wurde unter dem Groove Attack Banner eine Plattenfirma gegründet und schließlich ein Vertrieb, spezialisiert auf clubtaugliche Vinyls von ehedem schwer erhältlichen Labels wie Ubiquity aus Kalifornien oder auch lokale Anbieter wie das Münchner Compost Records Label.

Nicht viel später wurde es normal, dass auch in deutschen Läden die neuesten 12inches für Connaisseur-DJs landeten, egal ob sie einen LC Code für die hiesigen GEMA&Co. Verwerter trugen oder nicht. Groove Attack machten es möglich. Eine Art Goldenes Zeitalter für die Vinyl liebende Nische brach an. „Jeder zweite 15jährige, der cool sein wollte, versuchte damals DJ zu werden“, erinnert sich Uwe Welter, einer der beiden heutigen Besitzer des Groove Attack Recordstores. Mittlerweile benutzen viele DJs Digital-Files und 15 Jährige vergeuden ihr Leben lieber am Mobiltelefon, beim Gamen oder bei StulleVZ. Und so beklagt Welter, dass es kaum Plattenkäufer Nachwuchs gibt. Aber natürlich hält er mit dem Groove Attack Laden die Stellung. Welter und sein Kompagnon, der House Produzent und DJ Marcus Worgull haben die Geschäfte 2004 übernommen, als sich Groove Attack, auf dreistellige Mitarbeiterzahl angewachsen, gesund schrumpfen musste: Auch am Nischenprimus ging die seit 2002 wütende Absatzkrise nicht vorbei. Seither hat sich der Vertrieb, inzwischen im Besitz des Piranha Moguls Alexander Lacher (Verleger von Juice, Riddim, Groove, Spex, Piranha, Burger King Magazin), allerdings offensichtlich erholt (nicht zuletzt dank der deutschen Hip Hop Indies wie Aggro Berlin) und 2008 in einer Porsche kauft VW Aktion den bedeutenden Indie Vertrieb Rough Trade Distribution (RTD) übernommen. Im runterskalierten Markt ist Nische der neue Major Player.

Aber es ist Plattenladenwoche, also werfen wir einen Blick in die Maastrichter Straße 49 im Belgischen Viertel in Köln. Seit 1992 befinden sich hier die Verkaufsräume von Groove Attack. Früher war das Erdgeschoss noch ebenfalls Teil des Ladens und die Mode nur Untermieter (u.a. entstand hier der erste deutsche Carhartt Laden als Shop im Shop), aber das Herz war immer schon eine Treppe tiefer im Keller. Heute residiert oben ausschließlich die Mode, doch im Keller ist die Welt noch in Ordnung. Hier gibt es T-Shirts, Record Bags und Cases, Nadeln, Systeme und allerlei DJ Accessoires. Im Angebot auch DVDs und CDs („unser kleinstes Problem“), vor allem aber Vinyl. Irgendwas zwischen 3/4 und 90 Prozent des Umsatzes wird beim Groove Attack Records Store mit Vinyl gemacht, erläutert Uwe Welter. Sein Computer hält auch die Liste die beliebtesten Platten der letzen Jahre parat. Benny Page und Visonarys „Turn Down The Light“ 12“ auf Digital Soundboy z.B., eine Drum&Bass Hymne; oder klassische Hip Hop Highlights für den besseren Geschmack wie Jay Dillas „Donuts“ oder Commons „Be“ Alben. Nimmt man die CD Verkäufe dazu, findet sich auch The Whitest Boy Alives „Rules“ im oberen Bereich der Gesamtcharts; ein spezieller Renner war allerdings auch die rote, herzförmige Shape 7inch von Mayer Hawthornes „Just Ain’t Gonna Work Out“. Natürlich ist auch die Musik von Ladenbesitzer Marcus Worgull beim Groove Attack Record Shop gefragt. So findet sich Worgulls „Texel“ EP auf vorderen Rängen, wo aber genauso Huss Und Hodn mit ihrem „Stoff, aus dem die Regenschirme sind“ stehen. Neben Neuheiten finden sich Rereleases und Originale alter Helden und Elektronik ebenso wie Dub und Co..

Uwe Welter hat irgendwann Mitte der 90er als Angestellter bei Groove Attack angefangen. „Zum 33. Geburtstag hatten mir Freunde einen Gutschein über 330,- DM bei Groove Attack gekauft“, erinnert er sich. Weil der den Gutschein nicht auf einmal auf den gierigen Kopf haute, sondern in mehreren Besuchen zu Rosinen picken kam, bot man dem offensichtlich Qualifizierten einen Job an. Heute führen er und Worgull den Laden mit einer Handvoll Mitarbeiter, und betreiben nebenher noch einen eigenen Mailorder Versand. Mit dem Groove Attack Vertrieb hat man inhaberseitig keine Gemeinsamkeit mehr, aber natürlich arbeitet man viel und eng zusammen, kriegt gute Preise und spezielle Ware. Wer sich den Laden mal anschauen will, muss sich nicht unbedingt an die regulären Ladenöffnungszeiten halten. Jeden ersten Donnerstag im Monat, also auch während der gerade laufenden Plattenladenwoche, macht Groove Attack mit ein paar anderen Läden zusammen einen Spätkauf Abend. Diese Woche legt dazu der Kölner Reggae Don Gerd Gummersbach auf. Der hat u.a. mal den legendären Reggae-Laden Music Works in Köln betrieben. Aber das wäre nochmal eine andere Geschichte.

Der Plattenladen Groove Attack befindet sich in der Maastrichter Straße 49 in 50672 Köln. Jeden ersten Donnerstag im Monat, also auch übermorgen, findet ein Spätkauf zum extra langen Stöbern statt.

Anlässlich der Plattenladenwoche präsentieren unsere Moderatoren eine Auswahl der vielen wichtigen Plattenläden aus allen Ecken der Bundesrepublik. Unser Autor Christian Tjaben morderiert für ByteFM die Sendung School Of Rock, die im zweiwöchentlichen Rhythmus samstags ab 17 Uhr läuft.

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Diskussionen

0 Kommentare
  1. posted by
    Sabine
    Nov 3, 2009 Reply

    Ich hab das zweimal lesen müssen, um es so einigermaßen zu verstehen. Das ist wieder so ein Männerding, nicht?

  2. posted by
    christian
    Nov 3, 2009 Reply

    @sabine: ich hoffe nicht! eher so ein offensichtich nicht übermässig gelungener versuch, möglichst viel information in einem text unterzubringen, der natürlich eigentlich spannend, unterhaltsam und anregend sein soll. kernaussage: toller laden, gibts schon lange und ohne solche läden und die menschen, die sie betreiben, wären wir amazon und itunes schutzlos ausgeliefert.

  3. posted by
    hanna
    Nov 4, 2009 Reply

    Das mit dem tollen Laden kann ich nur bestätigen. Bei Groove Attack habe ich mir als 14-jährige die Nase am Schaufenster platt gedrückt und meine ersten Eimsbush Tapes erworben, danach am Brüsseler Platz gesessen und schnell reingehört. Läden wie Groove Attack gehören zur musikalischen Sozialisation!

  4. posted by
    Plattenkäufer
    Nov 4, 2009 Reply

    Kein Männerding also. Q. e. d.

  5. posted by
    Sabine
    Nov 4, 2009 Reply

    Oh je, so hab ich das nicht gemeint!
    Auch ich liebe einen Plattenladen! Seit fast 30 Jahren (und jetzt erzählt Omi mal was vom Krieg…) gehört Michelle Records zu meinem Leben. Früher, noch zweistöckig am Hamburger Hauptbahnhof gelegen, war das fast die einzige Möglichkeit, sich zu informieren. Man konnte ja nicht alles kaufen mit dem bißchen Taschengeld…
    Damals gab es natürlich noch kein Internet und relativ wenige gute Radiosendungen. Und die haben natürlich keine Playlisten veröffentlicht. Es gab Zeitschriften wie Sounds und später kam Spex dazu. Bestimmte Musik konnte man nur im Plattenladen hören, wenn die coolen Typen das mal auflegten.
    Und was war das immer für ein schönes Gefühl, wenn man mit der orangen Tüte nach Hause ging! Heute stopft man sich die CD in den Rucksack…
    Ich als junges Ding wollte auch im Plattenladen arbeiten, das erschien mir damals wie ein Traumjob, hat aber nie geklappt. Aber ich bin heute noch happy, wenn ich bei Michelle Records bin.

  6. posted by
    Peter
    Dez 11, 2010 Reply

    Hallo, das waren noch Zeiten als es noch richtige Plattenläden gab. Schöner Artikel. Gruß Peter

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