Nadine Shah – „Holiday Destination“ (Rezension)

Cover des Albums „Holiday Destination“ von Nadine Shah (1965 Records)Nadine Shah – „Holiday Destination“ (1965 Records)

8,5

Wer sich beim Albumtitel „Holiday Destination“ schon in einer Sonnenschirm-behüteten Strandliege wähnt, wird sich nach einem Blick auf das Coverartwork der neuen Nadine-Shah-Platte – ein zerschossenes Haus im Gaza-Streifen – mit Sicherheit im falschen Ferien-Ressort wähnen. FreundInnen unbekümmerter Sommererholung sind mit ihrem Anliegen bei Nadine Shah an der falschen Adresse. Denn die Künstlerin aus dem britischen South Shields mit norwegisch-pakistanischen Wurzeln bleibt auch auf ihrem nunmehr dritten Langspieler „Holiday Destination“ ihrem couragierten Songwriting mit Hang zu unbequemen Themen treu.

Aufgrund ihrer dunklen Stimmlage, bevorzugt schwarzen Garderobe und schwermütigen Texten sah sich Shah nach Veröffentlichung ihres Debütalbums „Love Your Dumb And Mad“ (2013) mit Referenzen wie dem Grandseigneur des Düster-Pops, Nick Cave, und Pop-Ikone Marianne Faithful während ihrer wavig-post-punkigen „Broken English“-Phase konfrontiert. Obwohl Shah KünstlerInnen wie PJ Harvey und Scott Walker einen viel größeren Einfluss auf ihr musikalisches Schaffen attestiert, lässt sich ihr neuestes Werk jedoch sehr gut im Spannungsfeld der genannten MusikerInnen verordnen.

Wurde auf ihrem Erstlingswerk thematisch noch der Suizid zweier Freunde verarbeitet, beschäftigte sich Shah auf dem 2015 erschienenen „Fast Food“ mit den Hochs und Tiefs kurzer, intensiver Liebschaften. Schon vorher, bereits 2014, begann die Arbeit an „Holiday Destination“. Die sogenannte Flüchtlingskrise, erstarkter Nationalismus und ein Mangel an Empathie, nicht nur in Großbritannien, bewegte die Künstlerin zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der weltpolitischen Lage und ihrer eigenen Identität als Immigrantin in zweiter Generation.

Neben der Thematisierung ihrer multikulturellen Wurzeln – die religiöse Sufi-Musik ihres Vaters hatte Einfluss auf ihre charakteristischen Gesangsmelodien – arbeitet sich die Künstlerin im weiteren Verlauf des Albums unter anderem an festgefahrenen Geschlechterrollen („Mother Fighter“) und dem persönlichen Unbehagen nach Vollendung des 30. Lebensjahres ab („2016“).

Musikalisch ist „Holiday Destination“ das Ergebnis ihrer abermaligen Kooperation mit dem Produzenten Ben Hiller, der bereits von Blur, The Horrors und Depeche Mode konsultiert wurde. Trotz der scheinbar sperrigen Sujets ist das Album ein vielschichtig produziertes, aufrüttelndes Stück post-punkiger Indie-Rock geworden: Ein groovig wummernder Bass, funky-abgedämpfte Gitarren, perkussive Elemente wie Rasseln und Glocken unterstützen das synkopierte Schlagzeug, dazu croont Nadine Shahs dunkle, ausdrucksstarke Stimme.

Der Opener „Place Like This“ scheint direkt auf die nächste Tanzdemo zuzusteuern. Ein Sampling einer solchen Kundgebung am Ende des Tracks, lässt die Vermutung wahr werden und unterstreicht Shahs Agenda für mehr Menschlichkeit und Solidarität wunderbar explizit. Der Fokus auf lebendige Rhythmik war ein zentrales Element der Produktion und ist eine große Stärke von „Holiday Destination“. Die Musik schafft es dank der starken Rhythmusgruppe trotz düsterem Realismus und effektvoll eingesetzter Dissonanzen (zu hören im klaustrophobischen Titeltrack), mit Leichtigkeit Optimismus und positive Energie zu transportieren. Inspiration dazu fand Shah bei Fela Kuti, einem Meister der getanzten Revolution.

Energetisch, angriffslustig und kratzig geht es in „Out Of The Way“ zu. Hier dröhnen Synths, ein nahezu mechanisch eingedroschenes, blechernes Schlagzeug, wuchtige Gitarren und ein knarzig-aggressives Saxofon scheinen ein starkes Zeichen in Richtung Alltagsrassismus und Intoleranz zu setzen: „Where would you have me go? / I’m second generation don’t you know?“, singt Shah.

Eingangs erwähnter Post-Punk findet sich wohl am prominentesten in der atmosphärisch dichten Single „The Yes Man“ wieder und steht mit seiner Energie für die meisten Stücke des Albums Pate. Der letzte Track „Jolly Sailor“ wird hingegen durch ein bassiges Synth-Ostinato und Shahs andächtigem Gesang getragen und verwebt sich gegen Ende mit einem letzten Gitarrenriff und lässt das Album in fast schon sonniger Stimmung enden.

Nadine Shah ist mit „Holiday Destination“ ein hervorragend geschriebenes, raffiniert produziertes und eindringliches Album gelungen. Musikalität und Eingängigkeit wirken hier wie die Nadel in der berüchtigten Filterblase und ermöglichen die Beschäftigung mit der politischen Thematik der Platte, ohne die HörerInnen zu vergraulen. Analog zum Album-Cover, auf dem ein junger Mann in der Kriegsruine ein Peace-Zeichen entgegenstreckt, entdeckt man den unbeugsamen Optimismus der Künstlerin nicht auf Anhieb, wird sich dessen aber mit jedem Durchlauf der Platte ein Stück bewusster.

VÖ: 25.08.2017
Label: 1965 Records

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