Neue Platten: Autechre – "Exai"

Von Klaus von Frieling, 7. März 2013

Autechre - Exai (Warp)Autechre – „Exai“ (Warp)

8,8

Irgendwann, irgendwo ist der Spaß verloren gegangen. Autechre wurden auf ihren letzten Platten immer abstrakter, immer unzugänglicher. Sie verzettelten sich in den seltsamsten Klangweiten, fern von Melodien und verloren in dunklen Rhythmusgebilden, in denen nur noch sie selbst sich zurechtfanden. Das war zwar reizvoll, war aber auch derart sperrig und dunkel, dass sich die verschiedenen Schichten erst nach und nach erschlossen. Selbst einige hartgesottene Anhänger dürften über die Jahre abgewandert sein.

„Exai“ ist inzwischen das elfte Album, das Sean Booth und Rob Brown als Autechre produziert haben. Von ihren Anfangstagen im HipHop Ende der 80er-Jahre haben sich die beiden mittlerweile auch fast 40-Jährigen derart weit entfernt, dass dieser als Referenz in etwa so viel taugt wie ein Rhetorikkurs für Fußballer. Aber bei Autechre ist ohnehin unklar, welche Rolle ihre Platten genau spielen. Früher mag das anders gewesen, aber heute sind sie im Grunde genommen gerade so bedeutend wie Wegmarken: Sie bilden eine Position ab und zeigen, wo’s lang geht. Die Alben entstehen auch schon lange nicht mehr durch gemeinsames Herumfrickeln im Studio, sondern vielmehr durch gegenseitiges Ergänzen der Dateien, die der eine dem anderen schickt. Auf diese Weise können sie auch ganz nach Belieben erscheinen, längeren Pausen folgen Doppelveröffentlichungen und umgekehrt. Wesentlich mehr zum Verständnis des Gebildes Autechre tragen seit jeher ihre Radio-Shows bei, mit denen sie in den 90er-Jahren bei einigen lokalen britischen Stationen oder bei Piratensendern begannen und von denen am vergangenen Wochenende gerade wieder zwei jeweils etwas mehr als 10 Stunden lang gesendet wurden, diesmal über einen Link auf ihrer Homepage. Von Public Enemy, den Residents und natürlich Coil über Seefeel, Sly & Robbie und Mantronix bis zu This Heat, Tangerine Dream und das Moritz von Oswald Trio reichte das ineinander verkeilte und verkantete Spektrum, mit dem man sich zwei Nächte vergnügen konnte. Und dann sind da noch ihre Live-Shows, die traditionell und nach Möglichkeit in vollkommener Dunkelheit stattfinden. Ein pures Sound-Erlebnis: laut, vertrackt, unausweichlich. Kein Beat wird lange durchgehalten, keine Melodie zu Ende gespielt. Es gibt keinen Moment zum Verweilen, nichts, woran man sich festhalten kann. Nur Klänge und Rhythmen.

Mit „Exai“ bietet sich also wieder die Möglichkeit, Autechre zu verorten. Die Zeiten der mikrotonalen Verschiebungen, der kleinteiligen Knöpfchendreherei, die sie in die Nähe der Elektroakustik und der klassischen Avantgarde verschlug, scheint vorbei. Unter den 17 Stücken sind einige, die die ganz dicken Bretter anbohren: ein fast schon konventionell zu nennender Dubstep-Basslauf in „irlite (get 0)“, triphoppige Beats in „recks on“ und ein sehr düsteres Ambient-Geschwebe in „YJY UX“. Und dann ist da noch „spl9“, das auf kongeniale Weise alles zusammenzufassen scheint, wofür Autechre jemals standen: komplexe Beats, verschachtelte Strukturen, geometrische Sound-Interpretationen, Stop-&-Go-Rhythmen und herumschwirrende, scharfkantige Klänge. Der ganz normale, ganz großartige Elektronikwahnsinn, dem Autechre mit dem Video zu „Gantz Graf“ die visuelle Entsprechung gesetzt haben. „spl9“ ist noch eine Spur überdrehter und gleichzeitig straighter, dramatischer und deeper, irrlichtender und schöner, lauter und dreckiger.

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