Neue Platten: Clinic – "Free Reign"

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7,5

Clinic ist eine der wenigen Bands der Nullerjahre, die ohne die für diese Zeit typischen „Klingt-wie“-Verweise auskommt, weil sie trotz vielfältiger Einflüsse von Kraut, über Psychedelic bis hin zu Garage und Punk-Rock sowie Jazz einen so charakteristischen eigenen Sound kreiert hat, der sofortigen Wiedererkennungswert bedeutet und keinerlei Band-Vergleiche bedarf. Das Liverpooler Quartett veröffentlicht mit „Free Reign“ nun sein siebtes Album auf Domino seit 2000 und sein Sound lebt nach wie vor von experimentell-funkigen und jazzig-psychedelischen Passagen und dem typischen exzentrisch-entrückten Gesang von Ade Blackburn. Allen sieben Alben gemein sind die sphärisch gehauchten, gespenstischen Vocals und die Vielfalt und Ungewöhnlichkeit der Instrumentierung, bei der die psychedelischen Orgelakkorde noch die gängigsten sind. Besonders beeindruckend ist immer wieder der unbeschwerte Einsatz von Klarinette und Melodica und sogar Sitar und Harfe, neben den typischen Zerrgitarren-Riffs, die Clinics Songs neben den gleichförmigen, swingenden Drums strukturieren.

Nachdem das 2010 erschienene, letzte Album „Bubblegum“ bis auf zwei Tracks sehr viel ruhiger und akustischer war (Stichworte: Easy Listening, Streicher), ist „Free Reign“ nun wie ein Aufatmen, eine Rückkehr zur Exzentrik des Clinic-Sounds unter Einbeziehung neuer experimenteller musikalischer Mittel. Der Einstieg ins Album klingt mit seinen verschrobenen Störsounds wie das Intro zu einem Horror-Experimentalfilm („Misty“), um dann schon ab Titel Nummer zwei in bewährter Clinic-Manier zu operieren.

Swing-Beats durchziehen das Stück „Cosmic Radiation“ wie in einem Detektiv-Soundtrack und fast wie im Free-Jazz, quasi-instrumental, nur durch die hypnotisch wiederholte, verhallte Aussage „Cosmic Radiation“ unterbrochen, zieht die Klangspirale den Hörer unausweichlich in seinen Bann wie der auf dem Albumcover abgebildete psychedelische Kreisel. Neu sind elektronisches Hintergrund-Gefrickel, das sich sehr gut in den psychedelischen Sound einfügt, an- und abschwellende Wave-Effekte wie aus Science-Fiction-Filmen („Seemless Boogie Woogie, BBC2 10pm (rpt)“) und zu den Orgelakkorden gesellen sich Synthie-Akkorde und rhythmisches E-Piano. Typisch für Clinic ist der gewandte Einsatz der Klarinette und Melodica („See Saw“), mitten in den psychedelisch-krautigen Gitarrenriffs, in typischer Verzerrung, die Drums auf Marsch und Swing eingestellt und Ade Blackburns verführerisch-entrückter Gesang. Die neuen Effekte ergeben zusammen mit dem Altbekannten keine komplett neue Richtung, aber nach 15 Jahren Band-Aktivität eine Weiterentwicklung des Sounds.

„Miss You“ entführt mit androgyn-erotischem Gesang zurück ins verträumt-makabere Clinic-Universum, das mit „For The Season“ eine besonnene Ballade folgen lässt, bevor rhythmisch und melodiös in „King Kong“ zu einem zweiten Höhepunkt nach „See Saw“ angesetzt wird. Die neue Gleichförmigkeit z. B. in „You“ wirkt hypnotischer und düsterer und weniger dramatisch als Songs auf früheren Alben wie „Do It!“ von 2008. „Sun And The Moon“ schwingt sich mit den Lyrics „Give me your love“ und „We’ll meet again“ wieder mit den altbekannten Swing-Beats und der Klarinette ins Ohr und ist an dieser Stelle als neunter Song bei Minute 40 ein überraschender und bedauerlich frühzeitiger Abschied von „Free Reign“.

Label: Domino | Kaufen

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