New Fall Festival 2011 – ein Nachbericht

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Agnes Obel ©Anja Falkenthal

Kann die Konfrontation von Popkultur und Hochkultur gut gehen? Dieses oft diskutierte Thema in den Feuilletons lieferte sich in der vergangenen Woche seinen Showdown. Das New Fall Festival in Düsseldorf ließ diese beiden Kontrahenten aufeinanderprallen, um seine Premiere zu feiern. 15 Acts wurden eingeladen, um in zwei klassischen Konzertsälen der Rheinmetropole zu spielen. Das musikalische Programm bewegte sich genau so subversiv durch sein musikalisches Spektrum wie die Philosophie des Festivals selbst. Von Songwritern über Indie bis hin zu Elektro war alles dabei. Die Auftritte fanden immer abends vom 11. bis 16. Oktober im Robert-Schumann-Saal und in der Tonhalle statt. Der Robert-Schumann-Saal ist eingebettet in das Museum Kunstpalast, inmitten des Kulturzentrums Ehrenhof. In der unmittelbaren Nähe zum Robert-Schumann-Saal befindet sich die Tonhalle. Ursprünglich als Planetarium am Rheinufer geplant, wurde in den 70er Jahren aus dem Kuppelbau ein Konzertsaal. Beide Locations besitzen eine hervorragende Akustik und waren bestuhlt.

So weit, so gut. Da fehlen nur noch die passenden Künstler, um diesen hochkulturellen Orten einen Hauch von Postmoderne zu verleihen. Heute ist Dienstag und Festivalstart. Allen voran Scott Matthew. Seit vier Jahren bewegt sich der ehemalige Elva-Snow-Sänger auf Solopfaden. Auch wenn sein aktuelles Werk „Gallantry’s Favorite Son“ der Öffentlichkeit in der heißen Jahreszeit präsentiert wurde, passen die Klänge doch eher zu den kühleren Phasen des Jahres und in diesem Fall perfekt zum New Fall Festival. Begleitet wird der Australier von zwei Mitmusikern an Akustikgitarre, Cello, E-Bass und Klavier. Doch trotz der Klaviereinlagen, dezenten Handclaps und Matthews Ukulele nimmt die androgyn wirkende Stimme jedem aufkommenden Swing die Luft zum Atmen und haucht ihm Tiefe und Wehmut ein. Er wirkt wie ein Barde, der auf einem großen Marktplatz seine Verzweiflung und seinen Schmerz kundtut. Und wir, das kleine Völkchen in der Stadt, lauschen bedächtig seinen Textzeilen und werden das Gefühl nicht los, dass es bald rum sein kann. Dann tippt das Klavier nur die Spitzen von „Velocity“ an und – „hört, hört!“ – ist da ein Fünkchen Hoffnungsschimmer in seiner Stimme zu hören, die sich sanftmütig über die erdrückenden Klänge legt? Dieser Teufel, zwischen den Songstücken ist die schwermütige Fassade wie weggeblasen und Matthew hat es mal wieder geschafft. Es wird geschnippt. Seine Ukulele verbreitet gute Stimmung. Und siehe da, ist da ein Lächeln zu sehen? Verdammt, wenn der Bart nicht wäre, könnte man es sehen.

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Ólafur Arnalds ©Anja Falkenthal

Neun Stunden Aufenthalt in Düsseldorf inklusive Schlaf und Show. Er ist nur für diese Show angereist, am nächsten Morgen um sechs Uhr geht es wieder weiter. Der Name dieses rastlosen Herrn: Ólafur Arnalds. War er einst nur Insidern als Drummer von Hardcorebands bekannt, sorgte der Isländer erstmals 2007 als Soloartist mit einem Kontrastprogramm für Aufsehen. Live multipliziert der Isländer Streicherarrangements aus Viola, Violine, Cello und Kontrabass mit elektronischen Parts via MacBook. Auf der Bühne krümmt er sich gedankenverloren, aber hochkonzentriert über dem Klavier an den Rand gedrängt, während seine Saitensektion auf Stühlen Platz nimmt. Seine filmmusikartigen Instrumentalstücke sind bekümmerte Dramaturgien, die sich nicht aufdrängen, sondern sich ganz langsam und atmosphärisch verdichten, um schließlich wieder zum Ausgangspunkt Ruhe zurückzufinden. Gerade in dieser stets pulsierenden Welt tut dem Zuhörer diese Entschleunigung mehr als gut. Mal knistert es hier, mal knackt es da, bis plötzlich Industrialsounds à la Nine Inch Nails ins Spiel kommen, die sich mit der glasklaren Klassikinstrumentierung sanft steigern. Arnalds Musik besitzt einen unglaublichen Dynamikumfang, nichts ist dem zufälligen Klang überlassen, alle Töne sind präzise akzentuiert, welche natürlich im akustisch perfekten Konzertraum wie dem Robert-Schumann-Saal die bestmögliche Ausdehnung erfahren. Der Isländer versucht, die Natur hörbar zu machen, ich habe das Gefühl, dass ich mich auf eine schattige Waldlichtung zubewege, ohne zu wissen, was mich im Licht erwartet. Aber ich habe keine Furcht, denn die Leichtigkeit nimmt mir die Angst und weckt Interesse auf mehr. Aber mehr ist leider nur eine Zugabe: „Song for Grandma“.

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Isbells ©Anja Falkenthal

Wir schreiben Freitag, den 14.10.2011. Vor zwei Jahren haben Isbells mit ihrem selbstbetitelten Debüt die Musikwelt bereichert. Heute ist das Quartett erwachsen und doch präsentieren sie sich beim Festival eher schüchtern als selbstbewusst. Vielleicht liegt es auch an der filigranen Stimme von Mastermind Gaëtan Vandewoude, die nicht für eine Rockband geschaffen ist. Da ist nichts Dreckiges, nichts Rauchiges, sondern gnadenlose Klarheit. Vergleiche zu Bon Iver oder Iron And Wine treten dabei automatisch in den Vordergrund. Aber im Unterschied zu ebenjenem klingt der Belgier weniger fragil, verständlicher und vor allem viel optimistischer. Unterstützt wird er durch dreistimmige Backing-Vocals, dezente Chöre, Glockenspiel, und verschiedenste Blasinstrumente. Die Drums sind alleinig auf die Bassdrum reduziert, die Herr Vandewoude höchstpersönlich mit dem Fuß kickt. Auch wenn der einstige Gründer der Band die Zügel in der Hand hält, gewinnt man den Eindruck, dass alle Mitstreiter ebenbürtig sind. In einer Reihe aufgestellt versprühen sie ihren 70er-Jahre-Folkspirit voll Trost spendender Melancholie. Die gezupften Gitarren verweisen auf Parallelen zu Gustavo Santaolallas Filmsoundtrack zu „Babel“ und sind im neuen Song „Stolen“ omnipräsent. Mit seinen Höhepunkten & Schwachpunkten eine gute Darbietung, wobei bei mir die Gänsehaut leider ausbleibt. Tja, dann muss wohl Agnes Obel dafür Sorge tragen. Die gebürtige Dänin ist dem deutschen Publikum allerseits über ihren Song „Just So“ bekannt, der von der Telekom in einer ihrer letzten groß angelegten Kampagnen verwendet wurde. Sie hätte es gar nicht nötig, via Werbung auf sich aufmerksam zu machen. Obel beherrscht die Kunst des Klavierspielens seit ihrer Kindheit, später hat sie dann der schwedische Jazzpianist Jan Johansson am stärksten beeinflusst. Jener Mann hat traditionelle Folklore mit Jazz an seinem Tasteninstrument vermischt. Ihre Stücke aber auf Folk zu reduzieren wäre schlichtweg falsch. Sie sind die auditive Beschreibung des Spannungsfelds von Heimweh und Sehnsuchtsgefühlen, von Hoffnung und Trauer. Dennoch sind sie nie symphonisch-pathetisch übersteigert; bei Obel dominiert eine Leichtigkeit. Heute performt sie ihre Stücke nur in Begleitung von einem Cello, gespielt von einer Berliner Musikerin. Der neue Song „Gone Far Away“ besticht nicht durch Klangeffekte, sondern eher durch Stille. Mit: „Lightman, put the lights down, please“ bittet sie den Lichtmann, das Licht zu dimmen. Immer wieder rückt sie in den Hintergrund, so dass die Projektion von Herbstbildern auf dem schwarzen Mollton an Bedeutung gewinnt. Sie reduziert sich als Klangquelle und will die Musik für sich sprechen lassen. So wie bei „Sons & Daughters“, einem wunderschönen Track über vergangene und gegenwärtige Generationen, von dem sie selber sagt, dass dieser Song zeitlos sei. Noch zwei Mal geht das Licht an, bevor auch diese Show diesen Festivaltag zu Ende bringt.

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Jens Lekman ©Anja Falkenthal

Mittlerweile ist es Samstagabend und Jens Lekman eröffnet das Event. Der Wahl-Göteburger gilt seit seinem Debut „When I Said I Wanted To Be Your Dog“ aus dem Jahre 2004 als neuer schwedischer Songwritercrooner. Auf Platte sind seine Stilelemente komplexe Kompositionen mit Calypso-Einflüssen, Chören und Waldhörnern. Während seiner Show wechselt er neben seinem Gesang zwischen Gitarre und Ukulele. Gestützt werden seine kammermusikalischen Arrangements durch Streicher, Glocken, Flöten oder Samples, die in seiner Performance über Sequencer elektronisch zugespielt werden. Schade eigentlich, nur er und ein Drummer stehen auf der Bühne. Dennoch fesselt er das Publikum. Vielleicht auch dadurch, dass er einen angenehmen Kontrast zu dem bisherigen Bühnenprogramm bietet. In seiner Show ist nichts von der bisherigen melancholischen Festivalstimmung zu spüren. Ganz im Gegenteil, er versprüht regelrecht „Sommer, Sonne, Gute Laune“ und holt dabei die Menschen da ab, wie sie sich vielleicht im Sommer fühlten. Seine Bariton-Stimme legt den Arm um den Zuhörer und flüstert in sein Ohr: Tanze, tanze. Aber du musst nicht: „I hate when people ask me to dance.“ Und das scheint bei ganz vielen im Raum zu funktionieren. Die Leute stehen auf, drängen sich an den Rand der Sitzreihen und lassen die Hüften kreisen. Bei „An Argument with Myself“ verwandelt sich der Robert-Schumann-Saal in eine kleine Karibikinsel, auf der die Afroklänge die Oberhand gewinnen. Selbst Lekmann legt die Gitarre zur Seite und schwingt tanzend den Schellenreif. Ganz groß, Jens!

3 Stunden später schallt „Heartbeats“ aus dem Publikumsraum gen Bühne. Dem wird nur ein „Only songs from Junip tonight“ von Herrn González entgegengebracht. Als eine der weltgrößten Elektronikfirmen einen Werbespot mit seinem Cover des The-Knife-Songs „Heartbeats“ unterlegt, ging es bei José González plötzlich Schlag auf Schlag. Nach dem Kickstart seiner Solokarriere sind nun auch Junip im Musikerolymp angekommen. Zu Recht sind sie Headliner am Samstagabend des Festivals. Ich war anfangs gespannt, ob die Band ihren hypnotischen, teilweise krautigen Shoegazer-Sound von der Platte live transportieren kann. Diese Frage ist zweifelsfrei mit Ja zu beantworten. Die vielen Schichten aus analogem Synthesizer, federleichten Tasteninstrumenten, treibendem Bass und zartem Gesang bauen im Kopf des Zuhörers ein Luftschloss, das seinesgleichen sucht. Sphärisch und fast schon staubig angezerrt zugleich schleichen da die Beats um die lauschenden Menschen, während Josés warme Stimme sanft auf einem Klangteppich aus Bongos, Keyboards und Gitarren treibt. Bei „Rope & Summit“ betten sich Elias Arayas mathematische Drums perfekt in den Gesamtsound ein, während González‘ markantes Organ meist im Mittelpunkt bleibt und sich der Rest der Band in einem endlosen Jam zu verlieren scheint. In zahlreichen Instrumentalphasen schrauben sich die Musiker in höchste Höhen, ohne dabei laut oder aufdringlich zu werden. Katharsis! „To The Grain“ raubt mir den Atem und unterstreicht mehr denn je, dass momentan kein anderer Song den Nerv der Zeit passender trifft. Als dann noch bei „Without You“ das Keyboard von Tobias Winterkorn mitten im Song zusammenkracht, und alle Bandmitglieder inklusive Publikum sich ein Schmunzeln nicht verkneifen können, ist spätestens hier der Bann gebrochen. So traumhaft schön, dass nur absolut herzlose Menschen das Junip-Konzert ohne ein Lächeln auf dem Gesicht verlassen werden.

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JUNIP ©Anja Falkenthal

Im Großen und Ganzen bin ich positiv überrascht vom New Fall Festival. Die anfänglichen Zweifel, ob die Art von zeitgenössischer Musik in solch hochkulturellen Räumen funktioniert, haben sich ins Gegenteil umgekehrt. Organisatorisch gibt es an der einen oder anderen Stelle mit Sicherheit noch Verbesserungsbedarf. Aber für seine Premiere war das Festival eine runde Sache. Nur die kurzfristige krankheitsbedingte Absage von Jochen Distelmeyer war ein kleiner Wermutstropfen. Somit ist der komplette Festivalmittwoch mit dem Support von Julia Marcell ins Wasser gefallen. Dennoch, ich bin zufrieden mit den ersten kalten Tagen des Herbstes. Der Winter kann kommen.

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