Pure Grunge! Pure Noise! Pure Shit!

Mochten auch Sonic Youth: Nirvana (Universal)

Heute startet ByteFM in die Themenwoche „Nevermind“. Eine Woche lang dreht sich unser Programm um Nirvana, Vorgänger, Begleiter und Nachfolger. Alle themenwochenbezogenen Sendungen sind im Programm mit „Thema: Nevermind“ hinterlegt. Aber was ist eigentlich Grunge? Unser Autor Mike Herbstreuth hat sich auf die Suche begeben.

Grunge. Grunge. Grunge. Ein Wort, das gleichzeitig kratzig und irgendwie glibberig klingt. Ein Wort, das ein bisschen klingt, als würde man eine Portion Schlamm in die Hand nehmen und sie fest zusammendrücken. Ein Wort, das seiner Bedeutung entsprechend klingt: schmutzig, dreckig, schäbig.
Der erste, der es benutzte, war Mark Arm, der Sänger der Seattler Band Mr Epp And The Calculations, der 1981 seine Gruppe als „Pure grunge! Pure noise! Pure shit!“ beschrieb. Arm gründete später zwei der wichtigsten Bands des Genres: Green River und Mudhoney. Und spätestens als das in Seattle heimische Plattenlabel Sub Pop 1988 sein Box-Set „Sub Pop 200“ mit einheimischen Bands wie Nirvana, Mudhoney und Soundgarden veröffentliche und unter dem Name „Grunge“ vermarktete, war der Begriff etabliert und unweigerlich mit der Stadt verbunden. Laut Sub-Pop-Gründer Jonathan Poneman hätte es aber genauso gut „sludge, grime oder crud“ sein können – Hauptsache irgendwie dreckig. Soviel zum Wort. Nur was Grunge eigentlich ist, das fand ich schon immer schwer zu erklären.

Als ich 15 war und (wie jeder in meinem Alter, der Gitarrenmusik gut fand) Nirvana hoch und runter gehört habe, fragte mich mal ein Mädchen, was ich denn so für Musik hören würde. Ich wollte natürlich cool sein und nicht einfach nur wie jeder in meinem Alter, der Gitarrenmusik gut fand, „Nirvana“ antworten, also sagte ich souverän: „Ich hör‘ Grunge.“ Ohne damit zu rechnen, dass sie fragen könnte, was denn Grunge sei. Was sie leider tat. Ich musste erstmal ziemlich lange überlegen und sagte wenig souverän: “Ähm, das ist so wie Punk…“, während ich gleichzeitig betete, dass sie nicht weiter nachfragen würde. Sie hat das dann glücklicherweise so hingenommen, aber es war klar, dass sie meine Ahnungslosigkeit entlarvt hatte. Und sie hatte recht. Hätte mir damals jemand gesagt, dass Black Sabbath einer der wichtigsten Einflüsse für die Grunge-Bewegung und Nirvana gewesen wäre, hätte ich nur ungläubig den Kopf geschüttelt. Klar, sie benutzten auch übersteuerte Gitarren, aber sonst? Ich habe mir damals zwar jede Biografie über Kurt Cobain besorgt, die ich finden konnte, und als seine Tagebücher veröffentlicht wurden, hatten ich sie mir schon vor Monaten vorbestellt, aber dass Cobain gesagt hat, dass Nirvana so klingen sollten, als würden „Black Sabbath The Knack spielen“, das hatte ich konsequent überlesen.

Black Sabbath war für mich eine von den Bands, deren Antithese die Grunge-Bands eigentlich sein sollten. Eine von den Bands, die wie der breitbeinige Rockerfeind Guns ’N Roses hauptsächlich über Frauen, Alkohol und darüber, wie geil sie selbst eigentlich sind, gesungen haben. Damit tat ich Black Sabbath natürlich extrem Unrecht, und ohne den düsteren, zähen Metal der Band wäre Grunge gar nicht erst möglich gewesen. Black Sabbath machten die Art Musik, die mit ihrer Ästhetik genau das ausdrückte, worum es im Grunge textlich ging: Apathie, Entfremdung, Teenage Angst. Diese Ästhetik war zusammen mit dem Punk der Bands der amerikanischen Hardcore-Szene der 80er wie Black Flag oder den Melvins die Hauptzutat für Grunge, und bei Bands der ersten Grunge-Welle wie z.B. Green River hört man sie sehr deutlich heraus. Nirvana ebneten mir ihrer melodischeren Version und ihrer Start-Stop-Dynamik den Weg des Grunge in den Mainstream, und die Bewegung schwappte über die Grenzen ihrer Brutstätte Seattle hinaus. Spätestens als „Nevermind“ 1992 Michael Jacksons „Dangerous“ von Platz 1 der Billboard Charts verdängte, war aus der Subkultur einer Stadt ein weltweites Pop-Phänomen geworden.

„Smells Like Teen Spirit“ lief auf MTV, und auf den Laufstegen der Welt liefen Models in Flannelhemden, Wollmützen, zerrissenen Jeans und fettigen Haaren. „A hippied romantic version of punk“ nannte Marc Jacobs damals seine Kollektion, die er an den Look von Nirvana angelehnt hatte. Spätestens da war es den meisten Grunge-Fans zu viel. Grunge war Mode, und mit ihm die Stadt Seattle, die von einer Hypewelle überrollt und trotz einer vielfältigen Musikszene auf eine Subkultur reduziert wurde. „Everybody loves us / Everybody loves our town / That’s why I’m thinking lately / The time for leaving is now“, singen Mudhoney in ihrem Song „Overblown“. Und der Schuldige für die Misere war schnell gefunden. Kurt Cobain, mittlerweile ein reicher Mann und mit Courtney Love verheiratet, erhielt täglich Briefe, in denen er als Verräter seiner eigenen Ideale beschuldigt wurde. Und er konnte es verstehen: „I don’t blame the average 17 year-old punk-rock kid for calling me a sellout. I understand that. Maybe when they grow up a little bit, they’ll realize there’s more things to life than living out your rock and roll identity so righteously.“

Mit dem Tod Cobains begann Mitte der 90er auch der Abstieg der Szene. Der Hype war vorbei, Bands der ersten Stunde wie Soundgarden oder Alice in Chains lösten sich auf, eine neue Generation „Grunge“-Bands wie Bush trimmten das Genre auf Formatradiotauglichkeit und Britpop war der neue heiße Rockscheiß. „If punk was about getting rid of hippies, then I’m getting rid of grunge“, sagte Damon Albarn und nannte seine Band Blur eine „anti-grunge band“. Die Wut und der Pessimismus des Grunge wurden abgelöst vom launigeren und ausgelasseneren Britpop. Oder wie es Noel Gallagher ausdrückte: „As much as I fucking like him [Cobain] and all that shit, I’m not having that. I can’t have people like that coming over here, on smack, fucking saying that they hate themselves and they wanna die. That’s fucking rubbish.“

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Diskussionen

2 Comments
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    Sep 26, 2011 Reply

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    Okt 8, 2011 Reply

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