"Scheiße, aber schön" – Reptile Youth im Interview

Reptile YouthReptile Youth

Rockstars im sozialistischen China werden, das wollten die Dänen von Reptile Youth. Etwas anders machen als die anderen. Nach zwei langen China-Tourneen ist klar: So getanzt wie auf Reptile-Youth-Konzerten haben die Chinesen bislang nicht. Damals, 2009/2010, hieß das Duo noch Reptile & Retard und hatte nicht mal eine Single veröffentlicht. Ihren Ruf als herausragende Live-Band hat die Band behalten. Dabei ist ihre Mischung aus Oberkörperfrei-Rock -’n‘-Roll, kühler skandinavischer Elektronik und Hang zur Selbstdarstellung nichts Neues. Das Geheimnis der Band liegt viel eher im geschickten Arrangieren auf der dünnen Linie zwischen Pop und Avantgarde. Am Freitag, den 21. September, spielen Mads Damsgaard Kristiansen und Esben Valløe im Uebel & Gefährlich in Hamburg im Rahmen des Reeperbahn Festivals. Am gleichen Tag erscheint ihr Debütalbum „Reptile Youth“.
Ein Gespräch über das Zurückkommen, The-Cure-Produzent David Allen und Gedicht-Gespräche über Yoko Ono.

Mads, Esben, ihr habt jetzt einige Festivals in Deutschland gespielt, Appletree Garden, Melt, Fusion …
Mads: Ja, wir hatten ein abgefahrenes Erlebnis auf dem Fusion Festival.

Inwiefern?
Esben: Lass uns besser nicht zu viel erzählen.

Also hatte es was mit Drogen zu tun.
Mads: Es könnte etwas mit Drogen zu tun haben.
Esben: Nein, nehmt keine Drogen!

Am Freitag erscheint Euer Debütalbum „Reptile Youth“. Bands verdienen ihr Geld heutzutage über Konzerte. Bedarf es eigentlich noch eines Albums?
Mads: Ja, ich denke schon. Wir haben lange gespielt, ohne eine Platte veröffentlicht zu haben und haben es weit gebracht. Aber wir wollen Platten machen, gute Platten! Mal ehrlich, die Leute sollen unsere Musik doch auch zu Hause hören können.

Warum habt Ihr so lange gebraucht, ein Album zu veröffentlichen?
Esben: Ich finde nicht, dass wir lange gebraucht haben. Wir waren live sehr erfolgreich. Es hat eine Weile gedauert, bis wir glücklich waren mit dem Sound im Studio. Die Live-Umsetzung auf eine Studio-Aufnahme herunterzubrechen war am Ende die Herausforderung. Die neue Platte profitiert vor allem von der Zusammenarbeit mit David Allen und Mark Ralph.

David Allen ist ja einer der wichtigsten Produzenten der 80er-Jahre, er hat The Cure produziert, Human League; welche Rolle spielt er für die Platte?
Mads: Die Kombination von David und Mark Ralph, der auch Hot Chip produziert, war entscheidend: Ein alter Punk und ein neuer Elektronik-Typ. Danach hatten wir gesucht. Davids Rolle war, vor allem auf dem Sofa zu sitzen und Joints zu rauchen. Und wenn er etwas nicht mochte, hat er das gesagt. Mark war für die Technik verantwortlich, David hatte den Überblick.

Esben: Er hat vor allen Dingen Tipps gegeben: „Kannst Du das so oder so machen?“ Sein musikalisches Gefühl ist sehr speziell. Wenn er denkt, es fehlt etwas, sagt er so was wie (singt): „one, two, three, four, boom, boom, bamm, bamm, dududuuu“. Welches Instrument das spielt, ist erst mal egal. Er erkennt, welche Bedürfnisse ein Track hat.

Es war also vor allem seine Erfahrung?
Mads: Definitiv. Ich meine, er hat die Hälfte der Cure-Alben produziert …

Wie kommt David Allen dazu, eine Band aus dem kleinen Dänemark zu produzieren?
Mads: Ausschlaggebend war eigentlich ein Deutscher namens Jan Robert, der unsere Musik mochte und uns gesehen hat auf dem Iceland Airwaves Festival in Island. Wir hingen ein bisschen zusammen ab. Als wir später in Berlin waren, um mit ein paar Radiosendern zu sprechen, fragten wir eine Freundin, ob sie nicht einen guten Produzenten kenne. Und sie sagte, sie kenne einen Typen namens Jan Robert, er hat ein Studio in London. Welch ein Zufall! Also schrieb ich ihm eine Mail und fragte. Zwei Stunden später schrieb er, David Allen und Mark Ralph seien perfekt, hier ist ihre Nummer, ruf sie morgen an! Also saß ich da, am nächsten Tag, und dachte: „Mein Gott, ich muss jetzt gleich diesen legendären Produzenten anrufen.“ Und ich würde fragen, ob er unser Album produziert und sagen, dass ich Däne bin …

Dänemark – wo liegt das überhaupt!?
Mads: Ja, ja, genau, wovon zum Teufel redet der? Aber es war sehr nett und er lud uns nach London ein.

Am Ende ist die Platte dann ein Pop-Album geworden.
Mads: Ja, das ist wahr. Es hat uns auch überrascht. Viele Leute erwarten eine gewisse Roughness von uns. Es gibt raue Momente, aber irgendwie ist es ein ziemlich poppiges Album.

Reptile Youth – Be My Yoko Ono

„Be My Yoko Ono“ scheint einer der hervorstechendsten Tracks der Platte zu sein. Am Gesang ist Selina Lannie zu hören, Sängerin der ebenfalls aus Dänemark kommenden Band Nelson Can.
Mads: Der Song wurde in China geschrieben. Es war Sonntag und ich wollte mit Freunden in eine Bar gehen. Als wir ankamen, spielte eine schreckliche amerikanische Band, die ihre Instrumente – im wahrsten Sinne des Wortes – masturbierte. Das war belästigend, totale Protzerei. Aber dann kam dieses kleine chinesische Mädchen auf die Bühne und erzählte eine Geschichte, wie auf einem Poetry-Slam. Ich war wirklich beeindruckt von ihr. Dann kam diese Zeile in meinen Kopf: „Please be my Yoko Ono, for you I’ll break up my band.“ Ich sprang also auf die Bühne, nahm ihr Mikrofon aus der Hand und sang genau diese Zeile. Sie war total verängstigt und verließ die Bühne, was ich natürlich nicht geplant hatte. Später kam sie dann aber zu uns. Sie hatte ein Buch dabei mit Gedichten, die sie uns vorlas – die waren sehr gut. Dann fingen wir an, zusammen ein Gedicht zu schreiben. Eine Zeile sie, eine Zeile ich. Irgendwann schrieb einer von uns: „Lass uns nicht mehr reden.“ Das Geschriebene wurde also halb Gedicht, halb Gespräch. Es wechselte ständig. Dann, gegen zwei Uhr nachts, machte die Bar zu; wir nahmen ein Taxi und kletterten auf diesen Wolkenkratzer, der bestimmt 40 Stockwerke hatte. Wir schrieben und schrieben, für gefühlte zehn Stunden. Dann gingen wir schlafen und als wir aufwachten, schrieben wir weiter. Ich brachte sie zum Bus und schrieb „auf Wiedersehen“. Wir haben also bestimmt 14 Stunden dieses Gedicht-Gespräch geführt. Einige Zeilen davon sind in den Song geflossen. Und eben „Please Be My Yoko Ono“ – lange Geschichte.

Vor allem eine verrückte Geschichte. So entstehen aber nicht alle Songs?
Mads: Nein, nein, so was passiert nicht jeden Tag. Das war wirklich magisch. Wir haben 18 Seiten Lyrik geschrieben.

Sind diese besonderen Erlebnisse denn die treibende Kraft hinter Eurer Musik?
Esben: Es ist immer ein Stück Abenteuer dabei. Wir machen verschiedene Erfahrungen jeden Tag, indem wir an neue Orte gehen. Daraus ziehe ich viel Inspiration.

Mads: Wir sind sehr gut darin, Träume zu verfolgen – und Abenteuer. Manchmal geraten wir dadurch in abstruse Situationen. Vielleicht auch heute Nacht?

Ihr scheint sowieso nur nachts Konzerte zu spielen.
Mads: Es ist die perfekte Zeit für unsere Musik, von 23 bis 1 Uhr. Manchmal spielen wir um vier, das ist scheiße, aber auch schön. Ich denke, wir sollten nicht vor 20 Uhr spielen.

Ist Dänemark ein gutes Land für Euch?
Mads: Wir leben beide in Kopenhagen. Für mich ist Kopenhagen perfekt momentan.

Esben: Eigentlich kommen wir aber aus ländlicheren Regionen Dänemarks. Wir sind beide Landeier aus Orten, wo es mehr Hinterwäldler als Hipster gibt. Aber all unsere Freunde sind nach Kopenhagen gegangen. Warum fragst Du?

Ihr habt mal gesagt, es sei immer gut, wieder nach Hause zu kommen. Warum?
Esben: Das war vermutlich ich. Ich denke, nach Hause kommen, all die Erfahrungen verdauen, die Du erlebst, das ist definitiv ein Teil unserer Kunst. Nach Hause kommen, mit Freunden und Familie darüber sprechen, was wir in der großen weiten Welt erlebt haben.

Mads: In unserem großen Traum (singt) „I could go on for miles and miles and miles”, aber ich mag es auch, nach Hause zu kommen.

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