„Pygmalion“ von Slowdive wird 25 Jahre alt

Cover des Albums „Pygmalion“ von der Band Slowdive. Das Album wird am 6. Februar 2020 25 Jahre alt.

Slowdive – „Pygmalion“ (Creation)

Shoegaze war schon immer ein paradoxes Genre. Anfang der 90er-Jahre konstruierten Bands wie My Bloody Valentine oder Ride gewaltige, übersteuerte, von Dutzenden Gitarreneffekten ausgewaschene Wall of Sounds, durchzogen von lieblichen, fast schon geflüsterten Melodien. Zärtlicher Lärm. Ohrenbetäubende Verträumtheit.

Slowdive widersetzten sich von Anfang an diesem Paradoxon. Die britische Band um die Gitarre spielenden und singenden Songwriter*innen Neil Halstead und Rachel Goswell wurde mit ihren ersten beiden Alben „Just For A Day“ und „Souvlaki“ vom Shoegaze-Hype mitgerissen. Dabei war ihre Musik zwar verwaschen und effektlastig, aber nie so ausgesprochen laut wie die ihrer Mitstreiter*innen. Ihr Sound war weich und anschmiegsam, eher an Dream-Pop-Vorreiter*innen wie The Cocteau Twins oder Galaxy 500 orientiert. Auf der Shoegaze-Skala schlug ihr Pendel stets in die Richtung der Melancholie. Diese Band wusste um die Kraft der Stille.

Vor genau einem Vierteljahrhundert veröffentlichten Slowdive ihr drittes Album – mit dem sie sich endgültig von den Klischees ihres Genres lösen sollten: ihr abstraktes, schwereloses Opus Magnum „Pygmalion“.

Eine wunderbare Ewigkeit

Der Opener „Rutti“ gibt eindrucksvoll die Richtung vor. Er beginnt mit einer einsamen E-Gitarre. Zwei Akkorde, die wie Rauch durch den Raum wabern, gefolgt von zehn Sekunden perfekter Stille. Dann folgt Halsteads Stimme, ein Hauchen, so lange nachhallend wie die Gitarre. Erst nach drei Minuten setzt das erste Rhythmusinstrument ein. Ein Shaker, so sanft raschelnd wie langsam fallendes Laub. Es wirkt, als würde die Band ihre Gitarren, Bässe, Felle und Becken streicheln. Auf dem Booklet steht, dass dieser Song zehn Minuten und sechs Sekunden dauert. Es fühlt sich allerdings wie eine wunderbare Ewigkeit an.

Mit Shoegaze hat das alles nichts zu tun. Stattdessen spielen Slowdive eine abstrakte Form des Post-Rock, der in seiner sakralen Ruhe an Talk Talks Spätwerk erinnert. Die Einzelteile dieser Musik sind nichts Neues: Gitarre, Schlagzeug, Bass, Gesang, ein paar Streicher, ein bisschen Elektronik. Doch die Magie liegt in der Zusammensetzung. Goswells Kopfstimme wirkt in „Miranda“, als hätte sie in einer Kathedrale gesungen und wäre später in den Katakomben aufgenommen worden. Formlos ziehen die Klänge am Ohr vorbei. Selbst die konventionellsten Stücke „Crazy For You“, „J’s Heaven“ oder „Blue Skied An‘ Clear“ klingen wie Dream-Pop im Salzwassertank, losgelöst von irdischen Pop-Strukturen auf der Wasseroberfläche treibend.

Ähnlich wie bei ihren spirituellen Vorreitern Talk Talk war auch Slowdives Label von dieser Musik nicht besonders begeistert. Creation Records ließ die Band nur eine Woche nach der Veröffentlichung von „Pygmalion“ fallen. Diese Songs ließen sich einfach nicht verkaufen, weder an verträumte Shoegaze-Nerds noch an die Brit-Pop feiernde Working Class. Sie waren einzigartig, zeitlos, ungreifbar – und das sowohl im Jahr 1995 als auch im Jahr 2020.

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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