Supersonisch – ein Interview mit Liam Gallagher und Bonehead

Von Matthes Köppinghoff, 8. November 2016

Foto von der Filmpremiere von „Supersonic“ mit Liam Gallagher und BoneheadFilmpremiere von „Supersonic“ mit Liam Gallagher und Bonehead (Foto: Matthes Köppinghoff)

Wie die Zeit vergeht. Ich kann mich noch lebhaft gut daran erinnern, da saß ich in einer furchteinflößend luxuriösen Hotel-Lobby in Köln, habe Kaffee in mich geschüttet wie ein Wahnsinniger und nervös auf mein Interview mit Noel Gallagher gewartet. Fünf Jahre später sitze ich also in einem anderen einschüchternden Hotel in Berlin, überlege, ob ich den Kaffee direkt aus der Kanne trinken soll, gehe ziemlich oft zum Rauchen raus – und warte darauf, dass man mich gleich in einem Zimmer im dritten Stock empfängt. Dort sitzen heute der andere Gallagher-Bruder Liam und Paul „Bonehead“ Arthurs, um die brandneue Oasis-Dokumentation „Supersonic“ zu promoten. Doch noch ist es nicht so weit, ich muss noch ein wenig mit meiner eigenen Nervosität klarkommen – aber tatsächlich geht es nicht nur mir so.

Markus Kavka treffe ich zum Beispiel auf der Lobby-Couch, nach einem kurzen Oasis-Fan-Plausch fährt er schon mal mit dem Aufzug und einem Filmteam im Gepäck hoch, ich gehe weiter abwechselnd meine Interviewfragen und meine Zigarettenschachtel durch. Als ich schließlich mit einer Dame vom ZDF auch hochfahren darf, klebt mein frisch gekauftes schwarzes Hemd bereits an mir. Aber was soll eigentlich schon groß schief gehen? Okay, Liam Gallagher und Bonehead wurden nicht mit Musik, sondern auch mit verwüsteten Hotelzimmern, Skandalen und Schlägereien (mit der eigenen Familie! Und mit Journalisten!) bekannt und gelten allgemein als „eher schwierig“ im Umgang. Andererseits – ich habe mich ausführlich vorbereitet, „Supersonic“ schon dreimal gesehen, eine Masterarbeit zum Thema Britpop geschrieben, eine Sendung namens Champagne Supernova, den größeren Bruder auch schon gesprochen – na ja. Vielleicht kommt eben da auch die Nervosität her. Und von dem Fakt, den ich vor der Türe noch mit auf den Weg bekomme: Liams Koffer ging auf dem Flug verloren, seine aktuelle Freundin muss für ihn und die deutsche Kino-Premiere am Abend noch schnell Klamotten shoppen. Oh Mann.

Doch viel Zeit für Panik bleibt nicht mehr: Kavka kommt lächelnd aus dem Hotelzimmer raus („Der hat sich nicht ein bisschen verändert. Viel Spaß!“), wenig später die Dame vom ZDF („Gut war’s!“), und dann darf ich ins Zimmer schleichen. Eine Kamera ist aufgebaut, die auf zwei dicke Ledersessel gerichtet ist – und da sitzen die beiden Herren aus Manchester. Natürlich breitbeinig. Ex-Oasis-Sänger Liam Gallagher links, eher sportlich schlicht gekleidet (der fehlende Koffer eben), während Ex-Oasis-Gitarrist Bonehead aussieht wie ein Zuhälter aus den Siebzigern: Echtpelz-Mantel, übertriebene Sonnenbrille, Brilli im Ohr. Und die beiden sind ganz gut drauf.

Ich komme zackig zur Sache, schließlich habe ich nur zehn Minuten Zeit mit den beiden. Persönliche Fragen darf ich zwar nicht stellen, aber tatsächlich gibt es eine Gemeinsamkeit bei den Gallaghers und den anderen Ex-Oasis-Mitgliedern: Sie denken nicht mal ansatzweise eine Millisekunde darüber nach, was sie in der nächsten Sekunde sagen werden, sondern quatschen einfach drauf los – und ihnen ist es herzlich egal, ob sie über Privates reden oder nicht. Während sich Liam und Bonehead also abwechselnd ins Wort fallen, fluchen, lachen, Elastica und Menswear dissen und irgendwie auch gleichzeitig meine Fragen beantworten, erfahre ich also doch recht viel: die vielen persönlichen Dinge, beispielsweise wie man im Film auch viel über den prügelnden Vater Gallagher erfährt – das war schon sehr privat und eigentlich hart, darüber zu sprechen, selbst für einen Liam Gallagher. Aber: So würde man die für eine Familie doch eher unüblichen Verhältnisse besser verstehen. Ausgerechnet Mr. Gallagher ist von den beiden heute der Good Guy und sehr redselig, während Bonehead ein wenig in seiner Gary-Glitter-/Zuhälter-Rolle versackt ist. Ich erfahre, was die beiden vom Wort „Britpop“ halten (es folgt eine einminütige und echt lustige Hasstirade) und merke, auch wenn ich noch nicht wirklich danach frage: ja, Oasis – das würden die beiden, glaube ich, heute immer noch gern machen und da bereuen es zwei Menschen, dass es diese Band nicht mehr gibt.

Knapp elf Minuten später bin ich auch schon wieder draußen. Während ich Kette rauchend, mit einer signierten Platte in der Tasche und ein wenig verloren und erschöpft durch Berlin laufe, frage ich mich, ob das jetzt ein erfolgreiches Interview war oder nicht. Zwischendurch trinke ich ein Beruhigungsbier, und dann stehe ich auch schon in der Wartehalle vom Kino International. Hier ist ein roter Teppich (okay, hier ist er heute schwarz) und ein paar Promis trudeln ein: Stuckrad-Barre geht zackig über den Teppich, ich meine, Klaas gesehen zu haben, einen von Beatsteaks und noch ein paar andere. Während sich Kamerateams bereitmachen, sind auch schon die ersten Fans da: bewaffnet mit Oasis-Platten, anderen Devotionalien und Eddings.

Und es musste ja eigentlich so kommen. Als schließlich die beiden Ex-Oasis-Mitglieder hier eintreffen, ist von Securitys und Absperrungen so gut wie nichts zu merken – die Absperrgondel, hinter denen die Journalisten und Fernsehteams brav gewartet hatten, die wird ignoriert. Es herrscht tierisches Durcheinander, Fans und Menschen mit Mikros sind in einem Nahkampf um den besten Platz neben Liam Gallagher verwickelt. Neben mir reißt ein Typ sein Bein hoch – nicht um irgendwen zu treten und das Chaos noch mehr eskalieren zu lassen, sondern um seine Wade zu zeigen; irgendwas mit Oasis hat er sich darauf tätowieren lassen. Spätestens da nehme ich ein paar gesunde Meter Abstand von der Meute, die sich gerade die Treppe hoch Richtung Kinosaal wälzt. Genauso wie früher, etwa Mitte der 90er, als Oasis ihre richtig große Zeit hatten, bevor ab 1997 der langsame Abstieg begann und 2009 endgültig Feierabend mit Noel, Liam und Co. war. Doch hier, kurz vor der deutschen Filmpremiere, da wird gerade nur an die besseren Zeiten gedacht – und es liegt hier gerade ziemlich viel Nostalgie in der Luft.

Und auf einmal bin ich doch sehr zufrieden – immerhin, ich habe heute niemandem meine Wade gezeigt, und wie ein Über-Fan habe ich mich auch nicht benommen, und ein paar gescheite Interview-Tönchen habe ich auch noch. Ich packe mein Mikrofon ein, schnappe meine Tasche, gehe nach draußen, und fahre endlich zurück nach Hamburg. Where were you while we were getting high?

Das ausführliche Interview können Mitglieder im Förderverein „Freunde von ByteFM“ in Champagne Supernova vom 7. November 2016 anhören.

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