Tocotronic – „K.O.O.K.“ wird 20 Jahre alt

Cover des Albums „K.O.O.K.“ von Tocotronic, das 20 Jahre alt wird

Tocotronic – „K.O.O.K.“ (L’age d’or)

Der ganz normale Alltag war schon immer ein kreativer Motor für Tocotronic: Konversationen mit Gitarrenhändlern. Der Hass gegenüber Backgammon-Spielern. Die Grausamkeit eines Samstags. Das Desinteresse gegenüber Tennis. Die Fahrt nach Bahrenfeld, im Bus, selbstverständlich.

Die Diskussion über „K.O.O.K.“, das fünfte Album der Hamburger Band, das nun 20 Jahre alt wird, wird gerne vom Sound dieser LP dominiert. Dirk von Lowtzow, Jan Müller und Arne Zank flirteten bereits auf dem Vorgänger „Es ist egal, aber“ mit Instrumenten, die keine Gitarren, Orgeln oder Schlagzeuge waren. Plötzlich umrahmten Streicher und Bläser ihre Parolen.

Doch „K.O.O.K.“ wurde ein ganz anderes Biest: Synthesizer begannen, durch ihre Musik zu oszillieren. Die Strukturen wurden impressionistischer: Was früher zum Großteil ein klar definiertes Spiel von „Leise-und-Laut“ war, wich Stücken, die sich im Zick-Zack bewegten, oftmals sogar ganz den Hooks auswichen. Abschlusssong „17“ ist eine elfminütige Slowcore-Meditation, die anstatt eines Refrains oder kathartischer Verzerrung ein getragenes Waldhorn-Solo erklingen lässt.

Abstrakte Seltsamkeiten

Der neue Tocotronic’sche Impressionismus machte auch vor den Texten keinen Halt: Die Parolen waren zwar nicht ganz verschwunden (auf Konzerten wird „Let there be rock / Verflixt nochmal!“ mit der gleichen Inbrunst von „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ mitgegröhlt), wurden aber ungriffiger. „Die neue Seltsamkeit“ und „Das Unglück muss zurückgeschlagen werden“ kommen ganz ohne Hook aus, stattdessen bieten sie einen nicht enden wollenden Schwall an Text.

Die Worte, die von Lowtzow hier singt, wirken ebenfalls deutlich abstrakter als zuvor – und auch auf dem ersten Blick um einiges banaler. „An jeder Ecke stehen Menschen / Deren Meinung uns gefällt / Und der Himmel ist ganz blau / Weil er Ozon enthält“, heißt es in „Die Grenzen des guten Geschmacks 1“. „Man kann es drehen und wenden, wie man will / Dachte ich und legte etwas auf den Grill“ in „Jenseits des Kanals“.

Der zauberhafte Alltag

Weit entfernt von der Alltagspoesie der ersten Alben ist das nicht. Damals stellte die Band die spießige Normalität, die erwähnten Tennismatches und Backgammonspieler, negativ dar. Ihre Alltagspoesie war eine Poesie der Ablehnung, der Verweigerung. Doch auf „K.O.O.K.“ entdeckten Tocotronic den Zauber des Alltags. Spaziergänge am Kanal, Biertrinken vorm Spielomat und Zitronenlimonaden erstrahlten plötzlich in fast schon existentialistischer Schönheit.

Die alten jungen Nörgler sangen plötzlich Texte, die klangen, als wären sie zufrieden. Und wenn die Band von der Alltagslyrik auf die Emotionsebene wechselte, wurde es schonungslos ehrlich. Oder hat jemand jemals ein ungelenkeres und gleichzeitig euphorischeres Liebeslied als „Jackpot“ geschrieben? Im Verlauf ihrer Karriere sollten Tocotronic noch abstrakter werden (nur um später auf „Die Unendlichkeit“ wieder zur emotionalen Ich-Perspektive zurückzukehren) – doch auf „K.O.O.K.“ fanden sie die Poesie in der Banalität. Und dabei große Schönheit. Denn wenn von Lowtzow in „17“ abschließend singt „Heute bin glücklich wie niemals zuvor“, dann glaubt man ihm das.

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