Womens zweiter Streich


Als die kanadische Band Women vor zwei Jahren ihr (ausgerechnet selbstbetiteltes) Debütalbum beim feinen Label Jagjaguwar veröffentlichte, war es gar nicht so einfach, der CD habhaft zu werden, denn die einschlägigen Online-Händler listeten beim Suchbegriff „Women“ alle möglichen Artikel zum Thema „Frauen“ auf, zuvorderst aber eben nicht das gesuchte Album.

Nun, die Zeiten ändern sich. Wenn man den Begriff aktuell bei der deutschen Dependance eines großen Online-Händlers sucht, ergeben sich über alle Kategorien zwar mehr als 370.000 Treffer, aber der Erstling von Women steht dabei inzwischen an vierter Stelle, der gerade erschienene Nachfolger nur wenige Positionen dahinter. Im Suchbereich „Musik“ nehmen beide Alben sogar die ersten beiden Positionen ein. Gut so, denn insbesondere Womens zweiten Streich „Public Strain“ sollte man nicht verpassen, ist er für die Band doch ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung.

Das 2008er Album „Women“ war und ist nämlich nicht ganz unproblematisch. Zwar fasziniert die Abfolge der drei Songs „Group Transport Hall“, “Shaking Hand“ und „Upstairs“ auch heute noch, dennoch ver(sch)wendete das Quartett aus Calgary zu viel Zeit des lediglich eine halbe Stunde währenden Debüts, um – eben nicht immer erfolgreich – lärmende Klanglandschaften zu erkunden. Aber vielleicht hatte dies auch sein Gutes, denn Women scheinen sich seinerzeit genug ausgetobt zu haben. Auf „Public Strain“ gibt es mit dem düster wabernden „Bells“ lediglich eine (eher verhaltene) Sound-Expedition vergleichbarer Art, ansonsten entdecken Patrick Flegel (Gesang/Gitarre), Matt Flegel (Bass/Gesang), Chris Reimer (Gitarre/Cello/Gesang) und Michael Wallace (Schlagzeug) endlich, welche Möglichkeiten die Kombination aus Lärm und Song bietet. Dies ist zwar nicht neu, aber bei entsprechendem Songwriting eben immer noch eine sehr reizvolle Angelegenheit.

Derlei Musik bekommt schnell mal das „böse“ Etikett „Art Rock“ verpasst, und es scheint auch beinahe so, als hätten sich Women das wohl noch freie Plätzchen zwischen Liars und Bear In Heaven gesucht. Gefühlt wirkt „Public Strain“ jedoch eher wie eine schroffe Variante von Deerhunter gepaart mit einem ordentlichen Schuss Sonic Youth aus den Zeiten von „Evol“ oder „Sister“. Patrick Flegels flacher und zuweilen leicht schiefer Gesang scheint aus einem Parallel-Universum zu stammen, dennoch mogelt er sich – wenn auch eben merkwürdig distanziert – in die Allianz aus schepperndem Schlagzeug, stumpfen Basslinien, grob geschnitzten Gitarrenklängen und einem gerüttelt Maß an Feedback. Trotz oder wegen der Sixties-Einflüsse bleibt der Sound dabei angenehm unfertig und spröde, möglicherweise auch ein Verdienst von Chad VanGaalen, der nicht nur das Vorgängeralbum, sondern auch „Public Strain“ produziert hat.

Die Balance aus ruhigen und lauten Momenten gelingt diesmal vortrefflich. „Public Strain“ beginnt mit dem brüchigen Soundgebilde „I Can’t See“, lediglich vom Bass zusammen gehalten, während der Gesang schon jetzt ganz entrückt erscheint. Mit der rauen Schönheit von „Heat Distraction“ setzt auch das Schlagzeug ein und die Gitarren bekommen die erste Gelegenheit matt zu glänzen (hier nur ein scheinbarer Widerspruch). Diese Art von Wechselspiel bestimmt auch den Rest des Albums und gibt ihm seinen Reiz. Melancholische, gelegentlich sogar desolate Stimmungen werden von harschen und doch unwiderstehlichen Pop-Momenten abgelöst. Die angesprochene Schönheit entfaltet sich dabei eher unterschwellig, tritt aber mit jedem Hören weiter in den Vordergrund. Die Sanftheit eines „Locust Valley“ bildet dennoch die Ausnahme.

Dieses Album möchte man laut hören, auch wenn das spitzkantige, aber fantastische „Drag Open“ den Hörer vor die Herausforderung stellt, den besten Kompromiss zwischen „am-liebsten-ganz-laut-hören“ und „Gehör-dabei-nicht-schädigen“ zu finden. „Public Strain“ selber ist jedoch kein Kompromiss. Mag es Women auf ihrem ersten Album noch um das Ausloten der eigenen musikalischen Interessen gegangen sein, so führt die Band diese auf „Public Strain“ nun konsequent zusammen.

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