Σtella – „Adagio“ (Rezension)

Von Mario Kißler, 7. April 2025

Cover des Albums „Adagio“ von Σtella

Σtella – „Adagio“ (Sub Pop)

7,7

Zehn Jahre nach ihrem selbstbetitelten Debüt hat die griechische Musikerin Stella Chronopoulou aka Σtella ihr fünftes Album veröffentlicht, ihr zweites auf Sub Pop Records. Für die äußerst gelungene Vorgänger-LP „Up And Away“, die sie gemeinsam mit dem englischen Produzenten Redinho aufnahm, hatte Σtella ihren bis dato eher von Synth-Pop und New Wave geprägten Sound um Elemente griechischer Folklore erweitert. Der kosmopolitische Klang erinnerte stellenweise an Acts wie Khruangbin, insbesondere auf dem Album-Hit „Charmed“, dessen Streaming-Zahlen in erstaunliche Höhen schossen.

Nach den mit „Up And Away“ einhergehenden kommerziellen Erfolgen (inklusive Einsätzen in Serien und in der Werbung) hätte Σtella theoretisch den Weg einschlagen können, sich dem Mainstream – wenn es so etwas noch gibt – anzubiedern und ein Album voller Hits abzuliefern. Dazu wäre Σtella allemal fähig gewesen, betrachtet man ihre poppigeren Anfänge und die Hit-Dichte von „Up And Away“. Mit „Adagio“ wählt sie einen anderen Weg: Sie besinnt sich auf ihre Stärken (zum Beispiel ihre Stimme!) und ihren ganz eigenen Sound und denkt ihn in eine andere Richtung weiter. So ist „Adagio“ an vielen Stellen eine langsamere, zurückgelehnte Version von Σtellas Musik – produziert von ihr selbst.

Weniger New Wave, mehr Behaglichkeit und etwas Bossa Nova

Σtella hat sich für dieses Album Zeit genommen: Die Songs entstanden über einen Zeitraum von fünf Jahren. Gleich der eröffnende Titelsong gibt das Tempo vor: „Adagio“ eben. Wobei „adagio“ nicht nur „langsam“ bedeutet, sondern auch „bequem, behaglich“. Für dieses Lied – und einige weitere – arbeitete Σtella mit Rafael Cohen von der Band !!! zusammen, der solo auch unter dem Namen Las Palabras aktiv ist. Vor dem kunstvoll tänzelnden, an Bossa Nova erinnernden Arrangement kommt Σtellas Stimme besonders zur Geltung. Mit dem darauffolgenden „Ta Vimata“, einem Cover von Litsa Sakellariou aus dem Jahr 1969, verweist Σtella deutlicher denn je auf ihre Herkunft und singt erstmals auf Griechisch. Sakellariou war Teil der „griechischen New Wave“ bzw. Néo kýma der 1960er-Jahre, sozusagen die griechische Schwester der französischen Nouvelle-Vague-Strömung (auch der Name ist der Nouvelle Vague entlehnt). Irgendwie ergibt es bei Σtella besonders viel Sinn, dass die Begriffe New Wave, Bossa Nova, Nouvelle Vague und Néo kýma wörtlich übersetzt das Gleiche bedeuten.

Auch auf dem dritten Track „Omorfo Mou“ singt Σtella auf Griechisch. Der groovelastige Song knüpft ans Vorgängeralbum und dessen beeindruckende Catchiness an, ähnlich wie Album-Highlight „Baby Brazil“ (feat. Las Palabras) mit seinen smoothen Sade-Vibes sowie Tropicália- und Disco-Einflüssen. Mit „Can I Say“ folgt eine minimalistische Synthie-Ballade, deren Nylongitarre über einem leisen Drum-Machine-Beat erklingt. Das Lied geht auch in seiner textlichen Einfachheit ins Herz: „Can I say I really miss you / What I wouldn’t give to kiss you?“ Erwähnung verdient auch das schöne „80 Days“ – nicht der einzige Song des Albums, bei dem das Gitarrenspiel an Erlend Øye bzw. Kings Of Convenience erinnert, die ja nicht nur ihrem Namen nach ebenfalls Experten für Bequemlichkeit und Behaglichkeit sind.

Resonanz statt Beschleunigung

Spätestens seit Hartmut Rosas soziologischen Theorien wird vielen zunehmend bewusst, wie sehr sich die moderne Gesellschaft einer kapitalistischen Beschleunigungslogik unterworfen hat. Trotzdem oder gerade deswegen fällt es so schwer, sich dieser Beschleunigung zu entziehen und in einem ruhigen Moment mit einem künstlerischen Werk in Resonanz zu treten, sich berühren zu lassen. Σtella lädt mit „Adagio“ förmlich dazu ein, sich die Zeit zum bewussten Musikhören zu nehmen. Es lohnt sich, genau hinzuhören. Sie drängt sich mit dem Album nicht in den Mittelpunkt, sondern teilt uns in wohlgewählten Worten mit, was sie fühlt. Keine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit, in der Authentizität und Selbstöffnung im Kampf um Aufmerksamkeit oft wie Kalkül anmuten.

Eine weitere Qualität des Albums: In nur 26 Minuten ist alles gesagt. Klar, man hätte auch noch einen Hit mehr genommen, aber Hits waren diesmal offensichtlich nicht Σtellas Hauptanliegen. Vielmehr vermittelt sie mit „Adagio“ Gefühle von Sehnsucht, nicht zuletzt nach ihrer Heimat. Dazu passt auch „Omorfo Mou“, der Song, mit dem Σtella vor über fünf Jahren – auf einer Bootsfahrt im griechischen Mittelmeer wohlgemerkt – den Grundstein für die Arbeit an „Adagio“ legte: „Meine Schöne“ bedeutet der Titel übersetzt, und man kann spekulieren, ob ein Mensch oder vielleicht doch auch die griechische Heimat gemeint ist.

Für letzteres spricht auch das einzige Instrumentalstück „Corfu“ (auch wenn Σtella nicht auf Korfu, sondern in einem Vorort von Athen aufgewachsen ist). Als Albumcover hätte man sich beinahe vorstellen können, wie Σtella – statt auf einen unspektakulären Teich – aufs Mittelmeer blickt, aber das wäre dann natürlich doch viel zu glatt und Mainstream-anbiedernd gewesen.

Veröffentlichung: 4. April 2025
Label: Sub Pop

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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