Alan Sparhawk – „White Roses, My God“ (Sub Pop Records)
7,9
Low, das waren vor allem Mimi Parker und Alan Sparhawk, eine der prägendsten Bands des Mini-Genres „Slowcore“, eine von mehreren Indie-Herausbildungen, die sich in den frühen 1990er-Jahren an der Dekonstruktionsarbeit von Rockismen beteiligten: Vergleiche dazu auch Post-Rock, wie ihn Tortoise spielten oder Indie-Jazz-Musik à la Karate.
Die Musiksoziologie spricht von Milieu- und Alterskohortenmusik: Erstaunlich, wie viele Noise-affine und Hardcore-sozialisierte Menschen eine besondere Beziehung zu dieser unaufdringlichen Band aus Duluth, Minnesota entwickelt hatten. Weil die späteren Alben sich allzu bequem in ihrem typischen Soundgewand eingerichtet hatten, gerieten Low außerhalb des enggesteckten Mikrokosmos mehr und mehr in Vergessenheit. Auf den Konzerten traf man die immer gleichen Menschen – Band und Publikum wurden zusammen älter und alt – bis die Hinwendung zur verglitchten Elektronik auf „Double Negative“ aus dem Jahr 2018 die Band aus ihrem Dornröschenschlaf weckte und endlich eine neue, jüngere Hörer*innenschaft erschloss.
Mimi Parkers erst spät öffentlich gemachte Krebserkrankung und ihr Tod im Herbst 2022 haben dementsprechend viele Menschen sehr bewegt. So etwas wie authentische Anteilnahme in Social-Media-Zeiten gibt es natürlich nicht, vermittelt aber gut den Eindruck, den man damals haben konnte: ehrliche Trauer um Mimi und rücksichtsvolles Mitgefühl für die zurückgelassene Familie um Bandmate und Lebenspartner Alan.
Dokument der Trauerbewältigung
Wer Sparhawk nach dem Tod seiner Frau bei einem seiner seltenen Konzerte gesehen hat, erlebte ihn auf der Suche nach einer schmerzlindernden Kollektiverfahrung. Ein Beispiel dafür war das Konzert im niederländischen Utrecht beim letztjährigen Festival Le Guess Who. Unter anderem mit Sohn Cyrus spielte Sparhawk viel retrolastigen Blues und Folk, in der Jacobikerk, derselben Kirche, die schon Phil Elverum (Mount Eerie, The Microphones) für die Live-Umsetzung seines Seelenschmerzalbums „A Crow Looked At Me“ nutzte (später wurde sogar ein Live-Album daraus). Wie geht man mit abgrundtiefer Trauer um? Auch Elverum verlor seine Frau an den Krebs, aber wer ähnlich wie bei dem Mount-Eerie-Sänger einen Trauergottesdienst in entsprechender Atmosphäre erwartet hatte, lag falsch: Sparhawk und seine Mitmusiker*innen suchten Trost und Halt im Rock’n’ Roll und das Publikum war ihnen dankbar dafür.
Nun ist das Sparhawks Soloalbum „White Roses, My God“ etwas ganz anderes: Ein Dokument der selbstgewählten Isolation und Trauerbewältigung, das die Zuhörenden beinahe mutwillig auszuschließen versucht. Den Einsatz von Vocal-Prozessoren kennt man von den letzten beiden Low-Alben bereits. Mit Low hat „White Roses, My God“ aber ansonsten höchstens in Nuancen zu tun. Manchmal meint man ein Echo der früheren Harmoniegesänge zu vernehmen. Sparhawks Tochter Hollis hat immerhin ein paar Backgroundgesänge beigesteuert. Sohn Cyrus spielt Bass. Mehr als Familienmitglieder lässt Sparhawk auf diesem seltsamen Album nicht zu.
Der Home-Recording-Ansatz hat etwas Laienartiges. „I Made This Beat“ lehnt sich nicht von ungefähr an Tom Hanks‘ Ausspruch in dem Einsame-Insel-Film „Cast Away“ an: „Ich habe Feuer gemacht“ – ein Statement, das nur Sparhawks bescheidenem Skill-Set entsprechend an Bedeutung gewinnt: Das Schlagzeugspiel war bei Low vorrangig Mimi Parkers Part gewesen. Und Alan Sparhawk ist auch kein elektronisches Wunderkind, sondern hat sich nach eigener Aussage eher zögerlich an die ihm fremden Geräte herangewagt.
Die Suche nach dem richtigen Klang
So ist „White Roses, My God” ein Album, das vom Kontext lebt. Jenseits der allgegenwärtigen Trauer tragen diese elektronischen Stücke und Stückchen manchmal nicht so recht. Ein Kuriosum: Mitunter wirkt „White Roses, My God“ fast wie eine gespenstische Easy-Listening-Platte. Sparhawk hat davon gesprochen, wie schwer es ihm gefallen ist, eine für ihn angemessene neue Musiksprache zu finden, das ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Der Tod Mimi Parkers hat auch den Rockmusiker Alan Sparhawk zum Verklingen gebracht. Stattdessen hören wir eine unzugängliche Kunstfigur – gestalt- und alterslos. Das kann man irritierend finden.
„Brother“ differenziert das schmale Spektrum am deutlichsten aus. Die Stimme Sparhawks ist weiter runtergepitched als auf dem Rest des Albums, zu einem wacklig pulsierenden Beat taucht erstmals eine hakelige Gitarrenfigur auf. Das Stück zerrt frickelnd an sich wie an einer Zwangsjacke, findet aber doch zu einer nervösen Fusion aus Rock und Elektronik – woran erinnert das? Tortoise, Do Make Say Think vielleicht …
Immer wieder, und sei es nur für Momente, erscheint auch der Name Frank Ocean vor dem inneren Auge, etwa im Nasty-R-’n‘-B-Track „Station“, wo auch endlich einmal Wut hörbar wird. Zu einem unmöglich zu dechiffrierenden, von christlicher Symbolik durchzogenem Text verzerrt sich der Kummer via Soundcloud-Rap zur scheußlichen Fratze. Das Verlangen nach Erkenntnis und die Suche nach dem richtigen Klang sind auf „White Roses, My God“ eins. Erst im abschließenden „Project 4 Ever“ hat Sparhawk die Wandlung zum computermodulierten Sänger endgültig vollzogen und spielt mit den Möglichkeiten der neuen Existenz.
So vollzieht sich mit zunehmender Albumlänge und nach der Einarbeitung der Hörenden in die ungewohnte musikalische Umgebung eine Wandlung. Das Album offenbart sich vielschichtiger als es zu Beginn den Anschein hatte, auch weil es Emotionalität jenseits von Lethargie zulässt. Aus scheinbar unhörbarem Dilettantismus wird dann doch so etwas wie genialer Dilettantismus.
Veröffentlichung: 27. September 2024
Label: Sub Pop Records