Bibi Club – „Feu de Garde“ (Secret City Records)
7,0
„Take my hand / Let’s go outside / The weather is nice“ – so beginnt der Song „Nico“ auf dem neuen Album von Bibi Club. Dazu sanft-countryeske Gitarrenlicks, subtil unterfüttert von fluffigen Streicherflächen aus dem Synth und zusammengeschnürt durch eine zurückhaltende Beat-Schleife. Mit ihrer ostentativen Freundlichkeit bringen diese Zeilen und der dazugehörige Song den Vibe des zweiten Longplayers des frankokanadischen Duos ziemlich gut auf den Punkt. Manchmal kann man sich fragen, ob unter so viel Nettigkeit nicht vielleicht ein doppelter Boden klaffen könnte. Schließlich lauern unter solch offen zur Schau getragener Harmlosigkeit jede Menge Gefahren. Zwar ist es manchmal auch schön, sich auf das Schöne einzulassen, aber ohne Gegengewicht ist man dann meist doch schnell überzuckert.
Sind Bibi Club nun also zu nett, um toll zu sein? Zum Glück kann man das ganz klar verneinen. Selbst wenn man der französischen Sprache, in der die meisten Texte sind, nicht mächtig ist, ist die Melancholie offenkundig, die die positiven Vibes unterspült. Allein schon die Einflüsse von Adèle Trottier-Rivard und Nicolas Basque deuten an, dass man die Frühlingssonne zwar mit aufrichtiger Freude begrüßt, ohne aber die Schatten, die sie bringt, zu ignorieren. Die erkennbaren Vorbilder stammen aus der erweiterten Mitt- bis Spät-70er-No-Wave-Szene in New York. Arthur Russell etwa, Talking Heads und – deutlicher denn je – Suicide. Doch dass man die Schattenseiten kennt, heißt auch nicht, dass man sie immer ins Zentrum rücken muss.
Byron und Bukolik statt Brando und Bukowski
Während Alan Vega und Martin Rev sich als Suicide konfrontativ gaben und der Rock-’n‘-Roll-Rebellenpose ein zukunftsweisendes Update gaben, inspiriert Bibi Club eher ihr Sound als die Attitüde. So gesehen haben sie weniger von Marlon Brando in „The Wild One“ als von einem Feelgood-Movie. Beispielsweise klackert der Drumcomputer in der formidablen Vorabsingle „L’île aux bleuets“ wie bei Suicides „Dream Baby Dream“. Wo aber Vegas phlegmatische Intonation die Lyrics über das Festhalten an Träumen eintrübt, geht es bei Bibi Club unzweideutig malerisch zu. Zumindest ist ein idyllischeres Sujet als ein verstecktes Inselchen schwer vorstellbar. Hohl ist das alles dennoch nicht. So behandelt der grenzbukolisch gedichtete Text laut Band „Liebe, Hindernisse, Vorwärtskommen, Klippensprünge, Aufrichtigkeit, Zweifel und die Kraft, die Dir jemand geben kann“. Schön, aber nicht trivial. Wie ein guter Feelgood-Film eben.
Natürlich sind die Lyrics ein wichtiger Bestandteil der Songs der Band. Aber Trottier-Rivard und Basque geben zu, dass sie eher den Text als die Musik anpassen, wenn diese nicht zusammengehen. Trotzdem lieben sie Versdichtung. Während der Studioarbeit baten sie etwa ihren Manager, sein Lieblingsgedicht einzusprechen. Leider konnten sie mit dem ausgewählten Bukowski-Text nicht arbeiten. Nicht, wie man vielleicht denken könnte, wegen Schmuddeleien. Der Text war schlechterdings nicht gemeinfrei. Darob schickte der Manager als Alternative ein Gedicht von Lord Byron. Darin entdeckte die Band das ungewöhnliche Wort „Wachtfeuer“, das sie so schön fand, dass sie die französische Variante zum Albumtitel erkor. Die Schönheit liegt für sie darin, dass ein bewachtes Feuer in der Nacht als Signal fungiert und gleichzeitig die Schlafenden wärmt. „Le feu“, heißt denn auch einer der rockigeren Songs des Albums, unermüdlich und kraftspendend wie ein gut unterhaltenes Lagerfeuer.
90s-Lo-Fi und essenzielle Empathie
Obgleich Suicide als Quelle auffallen, ist „Feu de Garde“ alles andere als epigonisch. Denn das pittoreske Rinnsal des Bibi-Club-Sounds entsteht durch viele unterschiedliche Zuflüsse. So hat beispielsweise „Parc de Beauvoir“ mehr von The Notwist als von No Wave und klingt zugleich nach einer zugänglicheren, bodenständigen Variante von Bar Italia. Was hier an Shoegaze-Reminiszenzen anklingt, baut der folgende Song „Shloshlo“ deutlich aus. Aber weniger in der dann-doch-irgendwie-breitbeinigen The-Jesus-And-Mary-Chain- oder My-Bloody-Valentine-Prägung als in der bescheideneren, verträumten Air-Miami-Variante. Überhaupt scheinen Bibi Club in ihrem stilvollen Songwriting in zeitlosem Instrumentenpark eine fast vergessene 90er-Bedroom-Pop-Nische zu neuem Leben zu erwecken.
Am besten verbreitet das Album seinen traumhaft-freundlichen Charme in den leiseren Momenten wie dem liebevoll ausgestalteten „Les guides“. Hier erinnert sich Adèle an ihre Jugend als Pfadfinderin. Ebenfalls zu den Highlights gehört „You Can Wear A Jacket Or A Shirt“, das uns in eine angenehme, beinahe heile Welt mitnimmt. Aber eben nur beinahe: „I see a tree, I see your eyes / You can hold my hand for a while“ – so weit, so pittoresk. Doch dann: „I see a person crying over there / Just keep walking.“ Das konstituiert nun kein großes Drama und bewegt keine Welt. Aber solche kleinen einfühlsamen Beobachtungen unterscheiden einen guten Feelgood-Film vom freundlich-hohlen Schmonz.
Veröffentlichung: 10. Mai 2024
Label: Secret City Records