Brezel Göring – „Psychoanalyse (Volume 2)“ (Rezension)

Bild des Albumcovers von „Psychoanalyse (Volume 2)“ von Brezel Göring

Brezel Göring – „Psychoanalyse (Volume 2)“ (Stereo Total Records)

8,3

Moment, „Volume 2“? Wo ist denn „Volume 1“ von „Psychoanalyse“? Brezel Göring, die eine Hälfte von Stereo Total, möchte sie besser nicht veröffentlichen. Nach dem Tod von Françoise Cactus, seiner anderen Hälfte, war die Musik für ihn die einzig denkbare Möglichkeit, den Verlust zu verarbeiten. Der erste Anlauf soll dem Vernehmen nach schmerzhaft und roh gewesen sein, zu roh vielleicht. Der zweite hingegen ist vor allem bittersüß.

Wie sehr sie Göring in 29 gemeinsam verbrachten Jahren künstlerisch geprägt hat, zeigen Lieder wie „Meine Medizin“. Darin bringt er emotional komplexe, nicht normative Bedürfnisse mit Drogensucht-Vergleichen auf den Punkt. Musikalisch ergänzt er seinen betonten Dilettantismus mit Zitaten von Lou Reed bis Tschaikowsky – ein Spiel über E- und U-Grenzen hinweg. Kulturelle Polyamorie, typisch Stereo Total.

Solch charmante Dreistigkeiten propagiert er auch in „Geh Deinen Weg“: „Wenn ich Tschaikowsky hören will, tun meine Nachbarn es auch.“ Klassik muss ballern. Dass seine Gesangspartnerin Julia Wilton dabei lachen muss, macht es nur rebellischer. Neben Wilton begleiten ihn Lilith Stangenberg und Pixie Dust auf dem Album, das auch mit frankophilem Kifferhumor und frivolen Bumstexten aufwartet.

Der gebrochene Mann

Ergreifend wird es jedoch dann, wenn Göring diese Komfortzone verlässt und seinen Schmerz offenbart: „Vögel singen hier jetzt nicht mehr / Und auch die Sonne geht morgens nicht mehr auf“, heißt es in „Sanfter Wahn“. „Dir hätte dieser Zustand nicht gefallen / Wärst Du noch hier, wäre das alles nicht passiert.“

Sowohl hier als auch beim letzten Lied „Am Ende“ zeigt er sich aufrichtig fatalistisch: „Wir sind wie Maden / In Verrottung und Niedergang / Ohne Licht, ohne Rettung / Und ohne Notausgang.“ Brezel Göring, der gebrochene Mann: Was hätte Françoise Cactus dazu gesagt? Tatsächlich begann die Produktion von „Psychoanalyse (Volume 2)“ noch vor ihrem Tod. Göring entschloss sich dazu, nur eine ihrer Aufnahmen für das Album zu nutzen: ihre letzte.

„Du siehst bedrückt aus / Dabei bist Du nur verrückt / Nichts, was eine Analyse / In Windeseile geraderückt”, singt sie in „Psychoanalyse“ – ein Honkytonk wie ein letzter Tanz. Gesanglich war sie angeschlagen, doch ihren Humor konnte keine Krebserkrankung von ihr nehmen. Wer, wenn nicht sie, hätte die Botschaft, dass ihr eigener Tod nicht das Ende bedeutet, so grob und vorwurfsvoll verpacken können? Hinreißend boshaft, dabei radikal bescheiden: Dieses Bild zeichnet Brezel von seiner Françoise. Man möchte ihn umarmen.

Veröffentlichung: 3. Juni 2022
Label: Stereo Total Records / Flirt 99

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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