David Byrne – „American Utopia“ (Rezension)

Von Marius Magaard, 8. März 2018

David Byrne - „American Utopia“ (Nonesuch)

David Byrne – „American Utopia“ (Nonesuch)

6,8

„And as things fell apart / Nobody paid much attention“, sang David Byrne einst im Jahr 1988. Die Zeile stammt aus „Nothing But Flowers“, einer der letzten Singles seiner alten, bahnbrechenden Band Talking Heads. Die menschliche Indifferenz gegenüber der Katastrophe beschäftigte den US-amerikanischen Art-Pop-Neurotiker bereits, als Ronald Reagan noch Präsident seines Landes war.

Jetzt, 30 Jahre später, gibt es einen neuen, beunruhigenden Herrscher im Weißen Haus – und eine sehr ähnliche Zeile von David Byrne: „The judge was all hungover when the president took the stand / So he didn’t really notice when things got out of hand.” Dieser Satz stammt aus dem Song „Dog‘s Mind“, dem moralischen Epizentrum seines neuen Albums „American Utopia“. Es ist ein überladenes, chaotisches Portrait seines Heimatlandes geworden – und ein faszinierender Einblick in das Hirn eines großen Pop-Genies.

Das Hühnchen träumt vom Himmel

Die große Gleichgültigkeit der Welt findet Byrne jedoch nicht in den USA, sondern im Tierreich. Wenn das Hühnchen vom Himmel träumt, dann ist Gott ein alter Hahn. Der Kakerlake ist‘s gleich, ob sie die Mona Lisa frisst, genau wie dem Hund der Papst egal ist. Und sowieso, immer diese naiven Hunde: „The dog can‘t imagine what it is to drive a car“, sinniert Byrne in „Dog‘s Mind“ und gewinnt aus dieser Erkenntnis im Handumdrehen eine menschliche Existenzkrise – „And we in turn are limited, by what it is we are.“

Wer über die USA redet, der muss auch über Feuerwaffen reden. Das tut Byrne in diesem Fall mit dem Song „Bullet“, in dem er auf gleichzeitig poetisch und banale Art und Weise ihr tödliches Potential einfängt: „The bullet went into him / His stomach filled with food / Many fine meals he tasted there / But the bullet passed on through.“

So spannend Byrnes Texte auch sind, so überladen ist der Sound von „American Utopia“. Mit seinen 25 Gast-Musikern und -Produzenten (darunter keine einzige Frau, wie Byrne selber in einem beschämten Statement feststellen musste) lesen sich die Album-Credits so chaotisch wie bei einem Kanye-West-Album. Sowohl der R&B-Newcomer Sampha als auch Dev Hynes (Blood Orange), Happa Isaiah Barr (der Kopf des Jazz-Kollektivs Onyx Collective), der Singer-Songwriter Jack Peñate, der Drone-Zauberer Oneohtrix Point Never, Atoms-For-Peace-Drummer Mauro Refosco und Byrnes ewiger „Partner In Crime“ Brian Eno ziehen an den zahlreichen Strängen dieser Platte.

Bei dem bedrohlichen Art-Funk der Vorabsingle „Everybody‘s Coming To My House“ funktioniert das noch sehr gut, genau wie bei der euphorischen Electronica-Ballade „This Is That“. Auch „It‘s Not Dark Up Here“ überzeugt mit seinen Afrobeat-Allüren, die angenehm an Talking-Heads-Meisterwerke wie „Fear Of Music“ erinnern. Doch immer wieder ruinieren halbgare Ideen den Fluss dieses Albums: Der alberne Robo-Rock des Openers „I Dance Like This“ macht direkt zu Beginn der Platte Bauschmerzen, das aufgesetzt dramatische „I‘m Always Doin‘ The Right Thing“ ist kitschig und unausgegoren.

So ist Byrnes US-amerikanische Utopie passenderweise genauso vielschichtig wie die Nation, die er porträtiert: Sie ist unglaublich faszinierend und aufregend, doch gleichzeitig auch ungemein verwirrend und anstrengend.

Veröffentlichung: 9. Februar 2018
Label: Nonesuch

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