Dissy – „Anger Baby“ (Rezension)

Bild des Albumcovers von „Anger Baby“ von Dissy

Dissy – „Anger Baby“ (Corn Dawg / Virgin Music)

7,7

„Man denkt meine Tracks basieren auf einer dunklen Vision“, so eine Line aus dem Song „Postapokalypse“ vom Album „Anger Baby“ von Dissy. Und ja, das kann man wirklich denken. Euphorie oder Positivität sucht man auf der neuesten Veröffentlichung des Berliner Rappers nämlich vergebens und doch: Genau die Schwere und Melancholie, die in dem Conscious-Rap von Dissy, inszeniert als Antiheld einer ohnehin kaputten Generation, mitschwingen, sind es, was „Anger Baby“ erst so besonders macht. Der Titel bezieht sich hierbei auf die Anger in Erfurt, einem öffentlichen Platz in der Heimatstadt des Künstlers. Und wie es scheint auch wichtiger Schauplatz seiner Vergangenheit – deren Aufarbeitung ein Kernthema auf dem autobiografischen Longplayer darstellt.

Gemeinsam mit seinem Producer Kidney Paradise hat Dissy einen unaufgeregten und doch fesselnden Sound kreiert, der die inhaltliche Ebene von „Anger Baby“ spiegelt und unterstreicht. Und dort wird Einiges aufgearbeitet: Themen wie die alles andere als stressfreie Schulzeit („Tunichtgut“), der Kampf mit Depressionen („Zukunft“) oder Erfahrungen mit toxischen Beziehungen („Sexy Depression“) zeigen den Wahlberliner von einer sehr persönlichen, nahbaren Seite. Aber auch die immer wieder durchscheinende Beobachtungsgabe, die Dissy schon in vorangegangenen Projekten bewiesen hat, findet Platz auf „Anger Baby“. In dem Track „Arbeit“ zum Beispiel kritisiert er den verharmlosenden Umgang mit prekären Arbeitsverhältnissen. „Drag & Drop“ ist eine ironische Anspielung auf unsere kapitalistische Gesellschaft.

Starke visuelle Ebene

Viele Tracks des Longplayers wurden bereits als Vorabsingles veröffentlicht. Die meisten von ihnen mit sehr eindrucksvollen Musikvideos. Die Produktion von diesen Clips ist eine große Leidenschaft von Dissy, der neben seinen eigenen auch schon Musikvideos von Mine, Juju, Megaloh oder Clueso produziert hat. Die visuelle Begleitung von „Anger Baby“ verfolgen ein Konzept und zeigen verschiedene Episoden aus dem Leben von Till Krücken, wie Dissy mit bürgerlichem Namen heißt. Ein Schlüsseltrack, sowohl auf musikalischer als auch visueller Ebene, ist hierbei „Muss los“. Der Song markiert eine Zäsur zwischen der Vergangenheit und Zukunft von Dissy, beschreibt den Rapper als rastlos und bereit zum Aufbruch und ist zudem aus einem weiteren Grund besonders: „Muss los“ führt die Hook des Songs „Peter Parker“ aus dem Debütalbum „Playlist 01“ fort. Mit „Vielleicht werd‘ ich nie King auf der Party / Nie Maserati fahr’n wie die“ beginnen beide Songs, doch aus dem hoffnungsvollen „Aber dann, wenn es Nacht wird, kommst Du mit / Zu mir“ aus dem Debütalbum wird auf „Anger Baby“ die ernüchternde Line „Das Lied hab ich mal für Dich geschrieben / als Du mitgekommen bist, aber – muss los“. Die Anpassung des Tracks zeigt deutlich, was auch die Quintessenz des gesamten Albums ist: Dissy ist mehr als bereit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und tut das auf dem Werk mit einer letzten mentalen Reise in diese Zeit.

Fast schon hoffnungsvoll wird es auf einem der bis zur Veröffentlichung unreleasten Tracks. Der eingangs bereits erwähnte Song „Postapokalypse“ zeigt, dass trotz aller schlechten Phasen und Rückschläge irgendwo immer ein Weg zu einem besseren Leben ist und man die Vergangenheit jederzeit hinter sich lassen kann: „Ich hab Welten erschafft, die mir eigentlich nicht gut tun, deswegen reiß ich sie ab“, heißt es da.

Denn trotz all der düsteren Inhalte schafft es das Album, im Gesamten zu einem positiven Ende zu kommen. Es schließt ab mit der Dunkelheit und Schwere, die bis dato den Output von Dissy gekennzeichnet hat. Oder wie er in dem Abschlusstrack „Zurück“ selbst sagt: „War so weit oben im Raumschiff / Aber die Welt unten braucht mich / Ich glaub‘ ich komm endlich zurück.“

Veröffentlichung: 25. März 2022
Label: Corn Dawg / Virgin Music

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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