Isolation Berlin – „Geheimnis“ (Rezension)

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Isolation Berlin – „Geheimnis“ (Staatsakt)

7,9

„Ich werd mich ändern – irgendwann“, singt Tobias Bamborschke fatalistisch im Song „Enfant terrible“. Dabei ist der Änderungsprozess im dazugehörigen Studioalbum von Isolation Berlin schon deutlich im Gange. Für „Geheimnis“ haben sich Max Bauer, David Specht, Simeon Cöster und Tobias Bamborschke drei Jahre Zeit gelassen. An der recht langen Pause ist nicht nur die Pandemie Schuld, in den neuen Songs steckt auch hörbar viel Arbeit: Sie sind fokussierter, auskomponierter und vor allem vielfältiger als alles, was man bisher von der Band kannte. Generell zeigt sich „Geheimnis“ als Album, das zwar emotional aufgeladene Geschichten erzählt, aber darauf bedacht ist, auf den Punkt zu kommen. Minutenlanges Gitarrenfeedback oder unkontrollierte Gefühlsausbrüche findet man hier nicht.

Das könnte bei einer Band wie Isolation Berlin ein Manko sein, schließlich konnten sie bisher wie kaum eine andere, Emotionen herausschreien und sich im Weltschmerz suhlen. Gerade der Einstieg zeigt aber, dass die neue Kontrolliertheit eine durchaus positive Weiterentwicklung ist. Der komplett akustische Opener „Am Ende zählst nur Du“ gibt sich ungewohnt sanft und geradezu freundlich. Und auch wenn das folgende „Enfant terrible“ textlich auf bekannteres Terrain (Verlassenwerden + Alkohol) zurückgreift, erinnert die folkige Instrumentierung so gar nicht daran, dass Isolation Berlin mal in die Schublade „Post-Punk“ gesteckt wurden. Viel eher klingt der Song, als ob sich Der Nino aus Wien den Wiener Schmäh abtrainiert hätte.

Selbstmitleid & Selbstreflexion

Im weiteren Verlauf kehren dann doch noch E-Gitarren zurück. Trotzdem bleibt der Sound reduziert und geht immer nur punktuell in die Vollen. Das führt zu einigen poppigen Momenten und mischt Licht in die grundsätzlich eher düstere Stimmung. Die Band bekommt auf diesem Weg eine Leichtigkeit, die erstaunlich gut zu ihr passt. Besonderes Highlight ist die trotzige Single „(Ich will so sein wie) Nina Hagen“. Hier verschmilzt die eingängige, aber nicht einfältige Melodie mit Tobias Bamborschkes Sinn für feinen Humor. Ließen einen frühere Texte mit ihren gestelzten Reimen schon mal die Augenbrauen hochziehen, schafft er es hier mit wenigen Worten Nina Hagen ein kleines Denkmal zu setzen. Neben der Bewunderung schwingt im Song aber auch die Frustration mit, nicht so mutig und frei wie Nina Hagen zu sein. Um das zu vermitteln, braucht es irgendwann nicht einmal mehr einen zusammenhängenden Text: Wenn Tobias Bamborschke sich in die von Hagen geborgte Nonsens-Zeile „Ein Ufo und ein Boy“ bis zum Schreien reinsteigert, hat das gleichzeitig Tiefe und Humor.

Humor ist generell ein Element, das „Geheimnis“ von früheren Alben der Band unterscheidet. Die Protagonist*innen der Songs durchleben zwar weiterhin existenzielle Krisen oder wenden sich von der Welt ab; durch die teils überspitzte Art des Gesangs wird manches aber entschärft und es wird deutlich, dass Bamborschke eher Erzähler und nicht Protagonist ist. Damit gelingt es ihm, bei allem Selbstmitleid, auch immer wieder Momente der Selbstreflexion einzubauen. Das bedeutet nicht, dass die Songs dadurch weniger emotional wären: „Klage einer Sünderin“ steigert sich zum Beispiel langsam hin zur ganz großen Geste und setzt mit seinem halligen, vom Klavier dominierten Finale einen Kontrapunkt zum sonst reduzierten Sound.

Das ebenfalls immer weiter Spannung aufbauende, mit Streichern angereicherte „Von einem der hier sitzt und Bleistifte spitzt“ führt ohne doppelten Boden in emotionale Untiefen. Der bildhafte Text über wiederkehrende Ängste und die daraus folgende Verzweiflung wird so intensiv vorgetragen, dass es geradezu beklemmend ist. Auch der daran anschließende, eher distanziert gesungene, Closer „Enfant Perdu“ ändert wenig an dem flauen Gefühl, mit dem man aus dem Album entlassen wird. „Geheimnis“ kommt zwar streckenweise leichtfüßig daher, insgesamt bleiben Isolation Berlin aber widerborstig und brechen mit Erwartungshaltungen – zum Beispiel an die eines Happy Ends. Ein Glück!

Veröffentlichung: 8. Oktober 2021
Label: Staatsakt

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