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Kramladen Das Blaugras-Wunder mit Volker Rebell

ByteFM: Kramladen vom 11.10.2012

Ausgabe vom 11.10.2012: Das Blaugras-Wunder mit Volker Rebell

Das Blaugras-Wunder – Punch Brothers & Co

Vor den bösen Mandolinen und gefährlichen Banjos der Blaugrasmusik hat er gewarnt. Sie hätten sein Leben zerstört, sein Hirn vollgepustet mit Sehnsüchten, Obsessionen und Schreckensfantasien von beißwütigen Wasserschildkröten. Die Blaugrasmusik sei Schuld daran, dass er zu einem Monstrum mutiert sei, schrieb der 2001 verstorbene US-amerikanische Gitarrist John Fahey in seinem Buch „How Bluegrass Music Destroyed My Life“, dessen deutsche Übersetzung von Karl Bruckmaier unter dem Titel „Blaugrasmusik“ erschien.

Ist die US-amerikanische Bluegrass-Music nicht so eine Art von hinterwäldlerischer Folklore aus den Appalachen, die von harmlosen Hillbillys hinterm Ofen oder zum Ringelreihen-Tanz gespielt wird? Wie sollte diese traditionelle Langweilermusik das Leben eines John Fahey zerstören? Oder ist das von John Fahey alles nur spaßig bis ironisch gemeint? Schließlich ist sein Buch voll von schrägen, versponnenen und witzigen Geschichten.

Und gibt es nicht inzwischen längst progressive Bluegrass-Musiker, deren Mandolinen und Banjos tatsächlich nach gefährlicher Attacke klingen, nach Angriff gegen alle Klischees, die dem Bluegrass angedichtet wurden? Die gibt es allerdings. Alles was man bisher über den Bluegrass-Stil zu wissen glaubte, schmeißen die Punch Brothers grandios über den Haufen. Das Quintett aus Brooklyn definiert das Idiom American Folk auf wundersame Weise neu. Ganz in der Tradition des in den 1930er Jahren entstandenen Bluegrass spielen die fünf hervorragenden Instrumentalisten rein akustische Instrumente (Mandoline, Banjo, Gitarre, Bass und Violine) und verzichten gänzlich auf ein Schlagzeug. Den rhythmischen Punch lassen die Punch Brothers dennoch nicht vermissen. Für den Groove sind alle Bandmitglieder verantwortlich, vor allem Mandoline und Banjo. Stilistisch lassen sich die Punch Brothers nicht einengen. Ausgehend von der Bluegrass-Basis spielen sie mit Indierock-Elementen, liebäugeln mit Klassik, wagen auch mal mutige Klangexperimente und kreuzen gerne durch gängige Popgefilde. Auf ihrem aktuellen dritten Album „Who’s Feeling Young Now“ covern sie bezeichnenderweise den Radiohead-Titel „Kid A“ – auf höchst eigene Weise versteht sich. Ihre zehn selbstgeschriebenen Songs des Albums zeichnen sich durch Originalität und exzellentes Songwriting aus. Doch das größte Plus der Punch Brothers ist deren atemberaubende handwerkliche Könnerschaft, die Brillanz im Zusammenspiel und der Abwechslungsreichtum in den Arrangements. Im Mittelpunkt der Band steht der virtuose Mandolinen-Spieler und Sänger Chris Thile, der schon mit 20 Jahren seiner ersten Band vorstand: der wegweisenden Newgrass-Band Nickel Creek. Mit seiner Band Punch Brothers hat er den ländlichen Bluegrass zu einer urbanen Kunstform veredelt.

Ende Oktober kommen die Punch Brothers für drei Konzerte nach Deutschland (22.10. Köln, 23.10. Berlin, 24.10. Hamburg), und zwar gemeinsam mit der Neo-Folkband Carolina Chocolate Drops aus North Carolina. Das ebenfalls nur mit akustischen Instrumenten musizierende Quartett um die Sängerin und Banjo-Spielerin Rhiannon Giddens orientiert sich an Folk-Blues und Country-Roots der 1920er und 1930er Jahre, spielt diese Songs und Themen aus der uramerikanischen Vergangenheit aber auf erfrischende Weise in einer entstaubten, neuen Interpretation, die Stilelemente aus Gospel, Jazz, Soul, Pop und HipHop aufgreift. „Fresh Grooves statt musealem Nostalgia-Muff: Oldschool-Banjos und Mandolinen treffen auf catchy Popmelodien, stolzes Südstaaten-Erbe auf entspannte Eastcoast-Skills, Prärie-Stimmung auf die Generation iPod“, so lässt sich die Band Carolina Chocolate Drops selbst beschreiben.

Im November tourt das Festival Bluegrass Jamboree mit drei US-amerikanischen Bluegrass- und Americana-Bands durch Deutschland und wird in 18 Städten zwischen Kassel und Kempten gastieren.

Der Kramladen beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit der lebendigen und äußerst kreativen Bluegrass- und Newgrass-Szene und feiert vor allem die fantastische Progressive Bluegrass-Band Punch Brothers, die man wirklich gehört haben muss.

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Playlist

1.  L. Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik)
Touch Me There / Zappa Records
2.  Punch Brothers / New York City
Who’s Feeling Young Now / Nonesuch
3.  Larkin Poe / Play On
Thick As Thieves / Download
4.  The Lovell Sisters / Time To Grow
Time To Grow / 2DefPigs Records
5.  Punch Brothers / Kid A
Who’s Feeling Young Now / nonesuch
6.  Punch Brothers / Movement And Location
Who’s Feeling Young Now / Nonesuch
7.  Nickel Creek / Out Of The Woods
Nickel Creek / Sugar Hill
8.  Alison Krauss & Union Station / My Love Follows You Where You Go
Paper Airplane / Rounder
9.  Punch Brothers / Who’s Feeling Young Now
Who’s Feeling Young Now / Nonesuch
10.  Carolina Chocolate Drops / Country Girl
Leaving Eden / Nonesuch
11.  Punch Brothers / Hundred Dollars
Who’s Feeling Young Now / Nonesuch
12.  Bearfoot / Billy
American Story / Compass Records
13.  Bearfoot / Tell Me A Story
American Story / Compass Records
14.  Nickel Creek / Pastures New (Hintergrundmusik)
Nickel Creek / Sugar Hill