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Kramladen Pop & Naturklänge

ByteFM: Kramladen vom 27.02.2014

Ausgabe vom 27.02.2014: Pop & Naturklänge

Vom Ursprung der Musik. Das Orchester der Tiere

Ein Pistolenkrebs soll mit seinen vier Zentimeter Körperlänge lauter sein als das lauteste je gemessene Rock-Konzert von Kiss – im Verhältnis gesehen? Die Musikkunstwerke von Bach, Beethoven und den Beatles seien nicht denkbar ohne das Heulen, Knurren, Zirpen, Gurren, Tirilieren, Zwitschern, Jaulen, Brüllen, Piepsen, Pfeifen, Quaken, Glucksen, Krächzen, Bellen, Krähen, Summen und Schnattern der Tierwelt?

Der Urutau-Tagschläfer aus den tropischen Regenwäldern Mittel- und Südamerikas hätte mit seiner leicht nachpfeifbaren Melodie der Menschheit die pentatonische Tonleiter samt Bluenotes vorgesungen? Das Konzert quakender Frösche sei ähnlich organisiert wie das eines Sinfonieorchesters oder einer Popgruppe?

Der das behauptet, begründet es auch – wissenschaftlich und anhand seiner jahrzehntelangen Feldforschung: Bernie Krause, US-amerikanischer Bio-Akustiker, Musiker und Klangforscher schrieb ein großartiges Buch, das im vergangenen Herbst auch in der deutschen Übersetzung erschienen ist (Bernie Krause: „Das große Orchester der Tiere – Vom Ursprung der Musik in der Natur“, Verlag Kunstmann ISBN 978-3-88897-870-8, € 22,95).

Seine These: ohne die Naturklänge, ohne die Tierlaute würden die Menschen weder singen noch tanzen. Denn die Musik der Menschheit entstand ursprünglich aus der Nachahmung der Tierstimmen und Naturgeräusche. Am Beispiel der Ba’Aka-Pygmäen in Zentralafrika weist er nach, dass die klangvollen Gesänge und komplexen Rhythmen dieses Pygmäenstammes von den Klängen und Lauten der sie umgebenden Tierwelt geprägt wurden.

Bernie Krause war in den sechziger Jahren Studiogitarrist, spielte z.B. mit Pete Seegers Folkband The Weavers, wechselte dann zur Elektronik und war einer der ersten Moog-Synthesizer-Spezialisten Amerikas. Er trat 1967 beim Monterey Popfestival mit elektronischer Musik auf, arbeitete als Moog-Fachmann mit den Byrds, Doors, mit Stevie Wonder und George Harrison zusammen. Von George Harrisons zweitem Soloalbum „Electronic Sound“, an dem er als Musiker am Moog-Synthesizer mitgewirkt hatte, distanzierte er sich allerdings, weil er von dem, was George Harrison aus seinen Aufnahmen letztlich gemacht hatte, nicht überzeugt war. Bernie Krause war an den Soundtracks zu Kinofilmen wie „Apocalypse Now“, „Rosemary’s Baby“ und anderen beteiligt und veröffentlichte fünf eigene Alben, darunter auch das Referenzwerk „The Nonesuch Guide To Electronic Music“.

Seit den siebziger Jahren zieht er als Sammler von Naturklängen durch die Welt und verfügt inzwischen über ein riesiges und einmaliges Archiv an Tonaufnahmen aus Wildnis-Habitaten rund um den Globus. Bei Vergleichen von früheren und aktuellen Aufnahmen am gleichen Ort stellt er immer wieder fest, auf welch teils alarmierende Weise die einstige Vielfalt durch menschliche Einwirkung zurückgedrängt wird.
Neben etlichen „Soundscapes“, den faszinierenden Naturaufnahmen von Bernie Krause widmet sich diese bio-akustische Ausgabe des Kramladens auch der Naturmusik im Pop, wofür es jede Menge Beispiele gibt, von den Gewitter-Klängen im Doors-Klassiker „Riders On The Storm“, unzähligen Tierlauten in diversen Titeln von Pink Floyd bis Beastie Boys, über Walgesänge in Songs von Kate Bush, Crosby & Nash, Jon Anderson und vielen anderen bis zu den aktuellen musikalischen Experimenten von Peter Gabriel mit Bonobos.

Bernie Krause hat den Begriff der Biophonie geprägt und meint damit Naturklänge von Tierlauten plus Wind- und Wassergeräuschen, die sich vergleichbar einer musikalischen Komposition entfalten und sozusagen einen akustischen Fingerabdruck des jeweiligen Habitats liefern, in dem all diese Naturklänge in ihrer Gesamtheit aufgenommen wurden. Bernie Krause: „Jedes unzerstörte Habitat drückt sich mit seiner eigenen speziellen Nischenkomposition aus – seiner einzigartigen Stimme. Jede Biophonie hat eine ihr eigene spezielle Textur wie unsere menschlichen vokalen Signaturen.“

Bernie Krauses Klangforschungen und Tonaufnahmen, die zum Teil am gleichen Ort vorgenommen und über längere Zeiträume hinweg dokumentiert wurden, beweisen, dass sich die Soundscapes in vielen Habitaten teilweise dramatisch verändert haben. Die Vielfalt der Tierstimmen hat sich über die Jahre oft deutlich verringert, das große Orchester der Tiere ist häufig zu einer Combo-Besetzung geschrumpft oder gar gänzlich verstummt.

Bernie Krause macht hierfür nicht nur Brandrodungen, Abholzung und all die vielfältigen Formen der Umweltzerstörung verantwortlich, sondern auch die von ihm sogenannte „Anthropophonie“, „akustischen Abfall, hörbaren Müll“, also den von Menschen erzeugten Lärm: „Flugzeuge, Pfahlrammen, Motorschlitten, Laubbläser, Autos, Motorräder, Generatoren, Gettoblaster usw. ... Lärm erregt Aufmerksamkeit, ohne viel nützliche Informationen zu liefern. Er ist verschwendete Energie.“ (Bernie Krause)

In seinem Buch beschreibt er eine Tonaufnahme im Yellowstone-Nationalpark an einem schönen Herbstabend, „an dem außerordentlich viele Vogelstimmen erklangen“. Während des plötzlichen Überflugs einer Verkehrsmaschine in etwa 6000 Meter Höhe erstirbt das Vogelkonzert fast vollständig. „Als nach zehn Minuten die natürliche Klanglandschaft allmählich wieder zurückkehrt, ertönt das niederfrequente Whom-whom-whom eines noch fernen Hubschraubers. Die Vögel verstummen erneut. Und diesmal wird es ganz still.“

Wenn man das liest, muss man unwillkürlich an Robert Gernhardt und sein 11. Gebot denken: Du sollst nicht lärmen!

„’Das große Orchester der Tiere’ liest sich wie ein Abenteuerroman und ist zugleich ein leidenschaftliches Plädoyer für die Erhaltung einer bedrohten Ressource: der Musik der Wildnis, die am Ursprung des Menschen steht. – Krause bringt uns die Musik der Natur nahe. Möge er noch lange weiterforschen.“ (Pete Seeger)

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Playlist

1.  L. Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik)
Touch Me There / Zappa Records
2.  David & Steve Gordon / Calling The Sacred Beat / Gift Of The Eagle
Sacred Spirit Drums / Prudence, BSC, Zomba
3.  Peter Gabriel / Bonobo Hope Appeal
Interspecies Internet 1 / download
4.  Pink Floyd / Mademoiselle Nobs (Seamus)
Live At Pompeii (Meddle) / EMI
5.  Kyrie Kristmanson / Birdsong
American Songbird / Jaro
6.  Songline / Desert Rainbow
Desert Rainbow / Tropical Music
7.  Jethro Tull / Bungle In The Jungle
Warchild / Chrysalis
8.  Katja Maria Werker / What The Bird Said
Contact Myself / BMG, RCA
9.  Jack Johnson / Anything But The Truth
To The Sea / Universal
10.  The Silent Jazz Ensemble / Sailing Across Seven Seas
Contemplations On The Sea / Vollton Biber
11.  Bernie Krause / Audio Archive
http://www.wildsanctuary.com/ / download