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Kramladen Brian Wilson contra Lennon-McCartney

ByteFM: Kramladen vom 09.04.2015

Ausgabe vom 09.04.2015: Brian Wilson contra Lennon-McCartney

"Das neue Album „No Pier Pressure“ von Brian Wilson ist erneut kein großer Wurf."

Die transatlantische Konkurrenz zwischen den kreativen Giganten Brian Wilson & The Beach Boys auf der einen und Lennon-McCartney & The Beatles auf der anderen Seite gehörte Mitte der sechziger Jahre zu den wichtigsten popkulturellen Phänomenen jener Zeit.

Die gegenseitige Inspiration, freundschaftliche Rivalität und die ehrgeizige Anstachelung, mit der jeweils anderen Seite nicht nur mitzuhalten, sondern sie möglichst noch zu übertreffen, führte zu einem schöpferischen Kopf-an-Kopf-Rennen vor allem zwischen Brian Wilson und Paul McCartney und beflügelte beide Songschreiber zu ihren besten Songs und wegweisenden Albumkonzepten. Als die Beatles Ende 1965 ihr damaliges Meisterwerk „Rubber Soul“ veröffentlichten, fühlte sich Brian Wilson herausgefordert, Lennon-McCartney mit dem Beach Boys-Klassiker „Pet Sounds“ vom Mai 1966 zu übertrumpfen.

Paul McCartneys Reaktion war, mit Lennon & Co das Jahrhundertalbum „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ zu kreieren. Zehn Monate zuvor hatten die Beatles bereits mit dem revolutionären Album „Revolver“ (August 1966) erneut Maßstäbe gesetzt. Brian Wilsons kreative Antwort mit seinem geplanten opus magnum für die Beach Boys „Smile“ blieb leider in Ansätzen stecken und scheiterte schließlich an seinen eigenen Drogenproblemen und an internen Band-Querelen.

Und heute? Brian Wilsons neues Album „No Pier Pressure“ ist insgesamt leider nur durchschnittlich, teilweise sogar enttäuschend – gemessen an seinen eigenen Qualitätsmaßstäben aus den Sixties. Dagegen trumpft Paul McCartney aktuell gehörig auf, fast wie zu seinen alten Beatles-Zeiten. Mit seiner letzten Single „Hope For The Future“ ist ihm mal wieder ein großer Pop-Hymnus gelungen; seine Kooperationen mit Kanye West, Rihanna, Lady Gaga & Co sind spektakulär, wenn auch musikalisch eher bescheiden. Doch seine Popularität ist ungebrochen. Als bekannt wurde, dass Paul im Juli 2015 beim legendären Roskilde-Festival, das seit 1971 alljährlich auf der dänischen Insel Seeland stattfindet, auftreten wird, waren die Tickets für den 4. Juli, den Tag des McCartney-Auftritts, binnen kurzem ausverkauft.

Vor 50 Jahren, genau am 9. April 1965 erschien die musikalisch überzeugende Beatles-Single „Ticket To Ride / Yes It Is“. Beide Songs stammten vornehmlich aus der Schreibe von John Lennon. Damals war Lennon ohnehin in bester kreativer Verfassung und schrieb die wichtigen Songs der Beatles-Entwicklung jener Zeit. Tatsächlich war John Lennons schöpferischer Anteil an den entscheidenden und bahnbrechenden Beatles-Songs in jener Phase größer als der von Paul McCartney. Es waren Lennon-Songs, die als A-Seiten der damals gefeierten Beatles-Singles in Kontinuität die Richtung vorgaben: „A Hard Day’s Night“ (10. Juli 1964), „I Feel Fine“ (27. November 1964), „Ticket To Ride“ (9. April 1965) und „Help“ (6. August 1965). Und auch was die differenzierteren Kompositionen anging, rangierte die Zahl der Lennon-Songs damals noch ein wenig vor denen von Paul McCartney.

Vornehmlich von John Lennon stammten die diffizilen Songs mit kompositorischem Referenz-Charakter „This Boy“ (November 1963), „If I Fell“ und „I’ll Be Back“ (Juli 1964), außerdem „I’m A Loser“ (Dezember 1964), „Yes It Is“ (April 1965), und darüber hinaus die beiden „Rubber Soul“-Klassiker „Girl“ und „In My Life“ (Dezember 1965). Pauls anspruchsvollere Songkompositionen jener Zeit von 1964 bis ’65 waren „And I Love Her“ und „Things We Said Today“ aus dem Album „A Hard Day’s Night“ vom Juli 1964, „I’ll Follow The Sun“ und „Every Little Thing“ aus dem Album „Beatles For Sale“ (Dezember 1964) und natürlich „Yesterday“ aus dem Album „Help“ vom August 1965 und „Michelle“ aus der LP „Rubber Soul“ vom Dezember 1965.
Brian Wilson und die Beach Boys hatten in kompositorischer Hinsicht bis 1965 noch nicht viel vergleichbares zu bieten, was an die Lennon/McCartney-Songqualitäten herangereicht hätte.

Auch heute hat der Ex-Beatle im direkten Vergleich mit Brian Wilson eindeutig die Nase vorn, was Popularität und musikalische Kreativität angeht. Paul McCartneys letztes Studioalbum „New“ klingt soundtechnisch und stilistisch moderner und ist zusätzlich kompositorisch variabler und frischer als Brian Wilsons neues Album „No Pier Pressure“. Und Paul arbeitet bereits an einem „New“-Nachfolgealbum, das aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen Schritt weitergehen wird.

Man würde Brian Wilson im Spätherbst seiner Karriere nochmals einen musikalischen Triumph gönnen: ein großes, kreatives Alterswerk, das McCartneys mit Sicherheit überbietbare aktuelle Songqualität noch einmal übertrumpft. Doch wie es scheint, ist der kreative Wettbewerb zwischen den einstigen Songschreiber-Giganten endgültig zu Gunsten von Paul McCartney ausgegangen.

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Playlist

1.  L. Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik)
Touch Me There / Zappa Records
2.  Brian Wilson / The Right Time
No Pier Pressure / Universal
3.  Brian Wilson / I’m Feeling Sad
No Pier Pressure / Universal
4.  Brian Wilson / Runaway Dancer
No Pier Pressure / Universal
5.  Paul McCartney / Hope For The Future
Hope For The Future / download
6.  The Beatles / Yes It Is (Probeaufnahme)
Anthology 2 / Apple, EMI
7.  The Beatles / Yes It Is
Ticket To Ride / Apple, EMI
8.  Don Henley / Yes It Is
The Bridge School Concerts / Reprise
9.  The Beatles / Ticket To Ride
Help / Apple, EMI
10.  The Beatles / Ticket To Ride (Live)
Live at the Hollywood Bowl, Live at the BBC / Apple, EMI
11.  The Carpenters / Ticket To Ride
Ticket To Ride / A&M
12.  The Swingle Singers / Ticket To Ride
Ticket To Ride - A Beatles Tribute / Primarily A Capella Records
13.  Beach Boys / Help Me Ronda
The Beach Boys Today / Capitol
14.  Brian Wilson / On The Island
No Pier Pressure / Universal
15.  Vanilla Fudge / Ticket To Ride
Vanilla Fudge / Atco, Polydor