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Kramladen Der Greis ist heiß - zum 70. Geburtstag von Udo Lindenberg

ByteFM: Kramladen vom 05.05.2016

Ausgabe vom 05.05.2016: Der Greis ist heiß - zum 70. Geburtstag von Udo Lindenberg

Er habe gerade den Club der Hundertjährigen gegründet und einen Fahrschein für weitere 30 Jahre gebucht, ließ der am 17. Mai 1946 im westfälischen Gronau geborene Altrocker deutscher Zunge in einem aktuellen Interview verlauten. Ob der Mann mit Hut und Zigarre anders als Prince, Bowie etc. tatsächlich das Greisenalter erreicht? In den 1990er Jahren war er „hauptberuflicher Trinker“, sah aus wie ein „Rock’n’Roll-Mops“ (Selbstbeschreibung), wog 93 Kilo und erlitt einen Herzinfarkt. 2007 wurde er wegen Herzbeschwerden kurzzeitig in einer Hamburger Klinik behandelt. Doch aktuell fühlt er sich „Stärker als die Zeit“ (Album-Titel) und bereitet sich auf seine Festwochen zum 70. Geburtstag vor, seine Deutschland-Tour durch die Arenen der Republik vom 20. Mai bis 26. Juni 2016.

„Der Greis ist heiß“, diese Rentner-Ode aus seinem Erfolgsalbum „Stark wie zwei“ von 2008, singt Udo auch auf dem neuen Album „Doldinger“ von Edel-Jazzer Klaus Doldinger, ein bemerkenswertes Album mit vielen Gastmusikern, das zu dessen 80. Geburtstag am 29.04. veröffentlicht wurde. In Doldingers Jazzrock-Band Passport begann 1970 Udo Lindenbergs Karriere, zunächst als Trommler. Zum damaligen Zeitpunkt hielt Udo L. Rockmusik und deutsche Sprache für unvereinbar, was er dann 1973 mit seinem ersten deutschsprachigen Album „Alles klar auf der Andrea Doria“ eindrucksvoll widerlegte.

Ob man das „Singen“ nennen will, wie er seine Texte akustisch mit dem Munde malt, das dürfte Ansichtssache sein. Tatsächlich liegt der Tonumfang seiner Nicht-Stimme unter dem Durchschnitt des gemeinen Badewannen-Tenors. Aber dennoch ist er einer der populärsten deutschsprachigen Sänger. Was andere mit Können und Vokalakrobatik machen, das macht er mit Charakter. Statt zu intonieren nölt er, statt zu singen nuschelt er, statt zu phrasieren stümpert er amateurig „Dedudendudendu“. Aber das macht er so unverkennbar, unverwechselbar und souverän, dass es schon wieder gut ist. Und mehr als gut: ein „Glücksfall“ war und ist seine Schnodder-Sprache und Schnodder-Stimme für die deutschsprachige Rockmusik. Er hat die im Rock-Idiom als unsingbar geltende deutsche Hochsprache in einen Szene- und Straßen-Jargon übersetzt, der so etwas wie eine deutsche Rock-Identität überhaupt erst ermöglicht hat. Zwar gab es vor ihm schon die Bands Ihre Kinder und Ton Steine Scherben, die angloamerikanische Rockmusik eingedeutscht haben, doch Udo war es, der den Deutschrock gesellschaftsfähig und populär gemacht hat. Insofern war er der Pionier, der sich um den deutschsprachigen Pop verdient gemacht hat, dafür 1989 auch das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt, damit seine Schuldigkeit auch getan hatte, aber dennoch nicht abgehen wollte, obwohl die neuen, jungen Szenehelden, die deutschsprachigen Hiphopper, die seine Söhne hätten sein können (und im übertragenen Sinne auch waren), ihm den Rang abliefen.
Doch 2008 entstieg der „Deutschmeister des politischen Kinderreims“ der Gruft der scheintoten, fast vergessenen Rocker-Mumien wie deus ex machina und veröffentlichte das erfolgreichste Album seiner Karriere „Stark wie zwei“, gefolgt von einer Stadiontournee, die alle bisherigen Panikorchester-Konzertreisen in den Schatten stellte. Nun, mit dem neuen Album „Stärker als die Zeit“, das zum 70.Geburtstag und zur neuen Tournee erscheint, will der „Panik-Macher“ den eigenen Alterserfolg und den seiner „Rentnerband“ erneuern. Motto: „Ich werde mich nicht ändern, werd’ kein anderer mehr sein. Ich habe tausend Pläne, doch‘n Plan B brauch ich kein‘“. Und seine Fans hoffen, dass er noch „so alt wird, wie er jetzt schon aussieht. Aber sonst ist alles klahahar, auf der Andrea Doria. Dedendedededada“.

Nachtrag: Jens Balzer schreibt in seiner Rezension des Albums „Stärker als die Zeit“ in der FR vom 29.04.16: Das Album biete „bloß Malen-nach Zahlen-Balladen, in denen die ... Größe von Udo Lindenberg in tragischer Art zur öden Pose eines von sich selbst gerührten Rockrentners schrumpft.“ Und über die Qualität der Songs und der Produktion urteilt er: „... ein professioneller, fürs Radio tauglicher, konturloser und klebriger Konfektionsklang“. Hat uns Udo das verdient?

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Playlist

1.  L. Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik)
Touch Me There / Zappa Records
2.  Udo Lindenberg feat. Jan Delay / Ganz anders
Stark wie zwei / BMG
3.  Udo Lindenberg feat. Martin Tingvall / Das Leben
MTV-Unplugged - Live aus dem Hotel Atlantic / Starwatch Entertainment
4.  Udo Lindenberg / Blaues Auge
Stärker als die Zeit / Warner
5.  Klaus Doldinger / Der Greis ist heiß
Doldinger / Warner Music
6.  Udo Lindenberg & Panikorchester / Alles klar auf der Andrea Doria
Alles Klar Auf Der Andrea Doria / Telefunken
7.  Udo Lindenberg & Nina Hagen / Romeo und Julia
Damenwahl / Warner Music
8.  Udo Lindenberg & Inga Humpe / Ein Herz kann man nicht reparieren
MTV-Unplugged - Live aus dem Hotel Atlantic / Starwatch Entertainment
9.  Udo Lindenberg / Rudi Ratlos
Ball Pompös / Telefunken
10.  Udo Lindenberg / Ich bin von Kopf bis Fuß
Ball Pompös / Telefunken
11.  Udo Lindenberg / Sonderzug nach Pankow
Sonderzug nach Pankow / Telefunken
12.  Udo Lindenberg / Pimmelkopp
Pimmelkopp / edel
13.  Udo Lindenberg / Stärker als die Zeit
Stärker als die Zeit / Warner