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Kramladen Patti Smith - zum 70. Geburtstag

ByteFM: Kramladen vom 29.12.2016

Ausgabe vom 29.12.2016: Patti Smith - zum 70. Geburtstag

„Jesus died for somebody’s sins, but not mine“, so lautet die berühmte erste Songzeile aus Patti Smiths Debütalbum „Horses“ von 1975, mit dem ihre Karriere als Poetin des Punkrock begann. Man nannte sie „Schamanin im Land der tausend Träume“ (Rolling Stone). Sie galt als eine Art exotische Zauberpriesterin, die wie in Trance Kontakt aufzunehmen versteht mit Göttern und Geistern des Olymp wie des Underground.

„Es ist nicht so leicht über nichts zu schreiben“, so beginnt Seite 9 der deutschen Übersetzung ihres neuen hoch gelobten Buches „M Train“ – was für „Mind Train“ steht, für den Zug der Gedanken. Die zitierte Zeile entspringt dem Zwiegespräch eines Tagtraumes, in dem sie einem Cowboy begegnet, der die Hutkrempe seines Stetson über die Augenbrauen gezogen hat und zurückgelehnt auf einem Klappstuhl balanciert, und dem sie antwortet: „Vielleicht ist es leichter über nichts zu reden“, worauf ihr imaginierter Gegenüber entgegnet, ohne auf sie einzugehen: „Aber wir machen weiter und hegen alle möglichen verrückten Hoffnungen. Auf ein Quäntchen Selbsterkenntnis, darauf, das Verlorene zu retten. Es ist eine Sucht, wie einarmige Banditen.“

Patti Smith war eine radikale Poetin bevor sie begann, ihre Gedichte zu singen und mit ihrer ersten Single, die im Sommer 1974 erschien, als „Urmutter des Punk“ gefeiert zu werden; eine Single, die 1989 in die Liste der „1001 Greatest Singles Ever Made“ aufgenommen wurde, enthaltend: „Piss Factory“, ihr erster eigener Song, dem ein wildes Gedicht über eine Kinderwagen-Fabrik zugrunde liegt, in der Patti Smith in jungen Jahren aus Geldnöten arbeiten musste, und auf der A-Seite eine Underground-Version des Song-Klassikers „Hey Joe“. Mit wüster Saiten-Quälerei, ihrem begnadeten Dilettantismus an der E-Gitarre, hatte sie damit schon 1974 den Punk vorweggenommen.

Mit ihrer unkonventionell vertonten Beatnik-Poesie ebnete sie der alternativen Frauen-Power den Weg in die Hitparaden und auf die großen Bühnen. Mit ihren frühen Alben „Horses“ (1975), „Radio Ethopia“ (1976), „Easter“ (1978) und „Wave“ (1979) setzte sie Maßstäbe als singende Dichterin des Rock’n’Roll. Die Leidenschaft und Intuition, mit der sie im Studio und im Konzert damals zu Werke ging, schien ihren Tribut zu fordern. Patti Smith zog sich ins Privatleben zurück und meldete sich erst 1988 kurzzeitig mit einem neuen Album („Dream of Life“) zurück, um anschließend dem Popbusiness wieder den Rücken zu kehren. Als ihre große Liebe, ihr Ehemann Fred „Sonic“ Smith, ehemals Gitarrist der legendären Band MC5 und Vater ihrer beider Kinder Jackson und Jesse, im November 1994 unerwartet an einem Herzinfarkt starb, begann sie in kreativer Trauerarbeit an ihrem Comeback-Album „Gone Again“ zu arbeiten, das 1996 erschien.

Nach den unterschiedlich bewerteten Folgealben, dem dunklen „Peace And Noise“ (1997), dem politisch engagierten „Gung Ho“ (2000) und der Werkschau-Doppel-CD „Land“ (2002) kam mit „Trampin“ 2004 wieder ein von der Kritik gefeiertes Patti Smith-Album auf den Markt. „Trampin“ wurde unter anderem als eine Art musikalische Anti-Bush-Demonstration verstanden, ein künstlerisches Statement des „anderen, kritischen Amerika“. Im Juni 2012 folgte ihr elftes und bis dato letztes Studioalbum „Banga“, das allgemein positiv aufgenommen wurde.

Patti Smith ist Allround-Künstlerin, veröffentlicht neben ihren Platten auch Zeichnungen, Fotografien und Bücher, darunter ihre viel gerühmte Autobiographie „Just Kids“ („Die Geschichte einer Freundschaft“) von 2010 und – wie schon erwähnt – „M-Train“, der zweite Teil ihrer autobiografischen Erzählungen – ein Buch „voller Sätze, die vor Schönheit funkeln. Wer das liest, wird sich in Patti Smith verknallen“ (spiegel online).

Aktuell kam Patti Smith in die Schlagzeilen durch ihren Fauxpas bei der Feierlichkeit zur Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan am 10. Dezember in Stockholm, als sie bei ihrem Live-Vortrag des Dylan-Songs „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ textlich ins Stocken geriet und den Song unterbrechen musste. Später entschuldigte sie sich und erklärte ihren Aussetzer mit „der Fülle von Emotionen und einer so starken Intensität, dass ich ihrer nicht Herr werden konnte“, wie Patti Smith in einem Essay für das Magazin „The New Yorker“ schrieb.

Manche Kritiker quittierten den Songabbruch mit dem Vorwurf der Unprofessionalität, doch die meisten Beobachter empfanden ihre Nervosität, die zu ihrem Aussetzer führte, als Zeichen von Menschlichkeit.

Am 30. Dezember 2016, ihrem 70. Geburtstag, spielt Patti Smith live in Chicago – mit ihrer neuen Band und begleitet von ihren beiden Kindern – die Songs ihres Debütalbums „Horses“. Und im April 2017 folgt eine Australien-Tournee. Auftritte in Europa – speziell auch in Deutschland – sind im Gespräch.

Der Kramladen würdigt Patti Smith zu ihrem 70. Geburtstag als unangepasste Poetin des Rock und als Autorin wunderbarer Bücher.

Als Ankündigung ihres Geburtstagskonzertes schrieb Patti Smith: „Und all die Dinge, die ich gesehen und erlebt und erinnert habe, werden in mir sein, und die Reue, die ich so schwer empfunden habe, wird sich fröhlich mischen mit all den anderen Momenten. 70 Jahre voller Momente, 70 Jahre menschlich Sein."

Kommentare

MarkKowarsch vor 7 Jahren
Oh Mann, lieber Volker Rebell - du hast mich heute Abend wirklich abgeholt und sehr glücklich gemacht! Was für eine tolle Sendung mit großartiger Musik - in dieser Welt voll mit Laptop-Knöpfchendreher-Fahrstuhlmusikern
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Playlist

1.  L. Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik)
Touch Me There / Zappa Records
2.  Patti Smith / Gloria
Horses / Arista Records
3.  Patti Smith / Banga
Banga / Columbia
4.  Patti Smith / Amerigo
Banga / Columbia
5.  Patti Smith and her Band / Holy, Dancing Barefoot
Lincoln Center, NXC, 20. Juli 2016 / download
6.  Patti Smith / Dancing Barefoot
Wave / Arista Records
7.  Patti Smith / Cash
Trampin / Columbia
8.  Patti Smith / Beneath The Southern Cross
Gone Again / Arista Records
9.  Patti Smith Group / Frederick
Wave / Arista Records
10.  Patti Smith / Ain’t It Strange
Radio Ethiopia / Arista Records
11.  Patti Smith Group / Because The Night
Easter / Arista Records