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School Of Rock Virginia Astley 1982–2023

ByteFM: School Of Rock vom 26.09.2024

Ausgabe vom 26.09.2024: Virginia Astley 1982–2023

Die englische Musikerin Virginia Astley nimmt in der Pop-Geschichte einen eigenen Platz ein, der sie irgendwo zwischen Kammermusik, Ambient-Sounds, Sophisticated Pop und dem, was heute als Neo-Klassik verkauft würde, einordnet.

Die Tochter eines bekannten Soundtrack-Komponisten und studierte Musikerin startet ihre Laufbahn um 1980 im Dunstkreis der Post-Punk-Jahre als Keyboarderin bei der Band The Victims Of Pleasure und arbeitet mit dem Skids-Sänger Richard Jobson. Dadurch gerät sie ins Umfeld des Labels Les Disques du Crépuscule von Ian-Curtis-Muse Annik Honoré und spielt Keyboards auf Produktionen von Anna Domino und anderen Labelacts.

Später arbeitet Astley mit so unterschiedlichen Künstler*innen wie Anne Clark, Dave Stewart, Prefab Sprout, ihrem Schwager Pete Townsend von The Who oder arrangiert Streicher für Siouxsie And The Banshees. Aber es ist die Musik, die sie unter ihrem eigenen Namen herausbringt, die den entscheidenden Teil von Astleys Diskographie ausmacht.

Ab 1982 veröffentlicht sie ihre eigene Musik und wird zu einem Indie-Kultstar, der nie den großen Durchbruch schafft, dafür aber treue Fans und inspirierte Musiker*innen erreicht. Neben einigen Hits in den UK-Indie-Charts ist ihr 1983er Soloalbum „From Gardens Where We Feel Secure“ Astleys einflussreichste Veröffentlichung. Ein von Field Recordings aus der englischen Provinz durchdrungenes, luftiges Instrumental-Werk, das mit kleinen Klavier-Kompositionen einen Morgen und einen Nachmittag in ur-englischer Gartenidylle vertont. Durch das Album ziehen sich unterschwellige Sound-Irritationen, die dem Ganzen, irgendwie auch etwas kitschigen Wohlklang einen unheimlichen Unterton verleihen, der ästhetisch dieselbe Schulmädchen-Unschuld-und-Bedrohlichkeit-Verbindung eingeht wie Peter Weirs legendärer 1975er Film „Picnic At Hanging Rock“ („Picknick am Valentinstag“).

Auch auf ihren Vokal-Tracks der 1980er, die durch Astleys lieblichen, mädchenhaften Gesang geprägt sind, bleibt immer genug Raum für Zweifel und düstere Ahnungen. Diese Ambivalenz ist seinerzeit eine ästhetische Dissonanz geboren aus der Gleichzeitigkeit von Margaret Thatchers hartem Regime-Wechsel und Falkland-Kriegszug, der Großbritannien auf die „Eiserne Lady“ und ihre neoliberalen Kurs einschwört, und dem New-Pop-Aufbruch inklusive der kurzlebigen Pop-Mode-Vorliebe für breitkrempige Sommerhüte und all die englische Weichschleier-Folklore-Mystifizierung. Virginia Astleys Musik ist sozusagen ein Dokument von zeitloser Schönheit in Zeiten des drohenden Untergangs oder auch von Schönheit als Schutzschild gegen feindselige Außenwelten.

Jemand, der sich von Virginia Astleys Musik begeistern lässt, ist der japanische Musiker Ryuichi Sakamoto, der ihr 1986er Album „Hope In A Darkened Heart“ produziert. Wieder entsteht ein Album, das nachhaltigen Eindruck hinterlässt, aber wenig Verkäufe erzielt, trotz einer Single mit David Sylvian als Duett-Partner.

Nach der Geburt ihrer Tochter Florence Ende der 1980er nimmt Astley eine mehrjährige Auszeit. In den 1990ern produziert sie vor allem für den japanischen Markt weitere Alben und beginnt, eigene Gedichte und Texte zu schreiben. Seit den 2000ern produziert und performt sie mit ihrer Tochter, die sie an der Harfe begleitet, als Spoken Word Artist. 2023 erscheint mit „The Singing Place“ eine EP, letztlich ein 23-minütiges Stück, die die 40 Jahre zuvor produzierte Ästhetik von Field Recordings und instrumentaler Kammermusik wieder aufnimmt, die das Album „From Gardens Where We Feel Secure“ geprägt hatte.

In der School Of Rock wandeln wir anlässlich des 65. Geburtstags der Künstlerin 60 Minuten lang durch die bukolischen Landschaften von Virginia Astleys Musik.

(Foto: Virginia Astley auf der Cover der EP „A Bao A Qu“)

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Playlist

1.  Virginia Astley / We Will Meet Them Again
A Bao A Qu / Why Fi
2.  The Ravishing Beauties / Arctic Death (Peel Session)
The John Peel Show / BBC Radio 1 / (Radio Broadcast)
3.  Virginia Astley / Love's A Lonely Place To Be
Love's A Lonely Place To Be / Why Fi
4.  Virginia Astley / A Summer Long Since Passed
From Gardens Where We Feel Secure / Happy Valley
5.  Virginia Astley / The Nursery At The End Of Time
Melt The Snow EP / Happy Valley
6.  Virginia Astley / Tender
Tender / Elektra
7.  Virginia Astley / Charm
Hope In A Darkened Heart / WEA
8.  Virginia Astley / My Smallest Friend
All Shall Be Well / Happy Valley
9.  Virginia Astley / Nothing Is As It Seems
Had I The Heavens / Happy Valley
10.  Virginia Astley / Skylarks At Higher Narn
The Words Between Our Words / Virginia Astley
11.  Virginia Astley / Hobbs Boathouse
The Singing Places EP / Virginia Astley