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Was ist Musik Was ist Miserable Rich Musik?

ByteFM: Was ist Musik vom 25.04.2010

Ausgabe vom 25.04.2010: Was ist Miserable Rich Musik?

Klaus Walter trifft The Miserable Rich in den Frankfurter Hazelwood Studios

Wie ich lernte The Miserable Rich zu lieben – von Anita Pool (2008)

Elend, jämmerlich, erbärmlich, armselig, kläglich – sagt das Wörterbuch zu miserable.

Hat sich der erbärmliche Zustand der reichen Deutschen bis nach Brighton herumgesprochen? Hat James De Malplaquet die kläglichen Bilder von den armseligen Steuerflüchtlingen gesehen? Nein, The Miserable Rich gab es schon vor den miesen kleinen Gaunern von der Post. Will Calderbank und James De Malplaquet haben nämlich mal bei einer prachtvollen Hochzeit in Rom gespielt, bei richtig reichen Adligen. Dort geschahen Dinge, die sie dazu brachten, ihre Band The Miserable Rich zu nennen. Und damit ist es auch gut mit dem Reichen-Bashing.


Rühmen wir lieber den musikalischen Reichtum von The Miserable Rich.

Musikalischer Reichtum ist ja ein heikler Begriff und wenn man dann noch weiß, dass diese Band mit Cello, Violine und Kontrabass vor ihr Publikum tritt, dafür ohne Schlagzeug und Bassgitarre, dann wäre man vielleicht doch lieber arm. Aber keine Angst, hier kommt nicht noch so eine von diesen neosakralen Andachtscombos, die schon vor dem Rauchverbot lieber in Kirchen als in Kneipen spielten. Ihre altehrwürdigen Instrumente verwenden sie in der Manier altehrwürdiger Briten, die schon vor vierzig Jahren wußten, dass man mit alten Geigen neue und sogar aufregende Musik machen kann. Frag nach bei John Cale! Oder Robert Kirby. Der hat die Streicher zu Nick Drake gebracht. Oder Nick Drake zu den Streichern. Ein Kammerquintett für moderne Songs – das schwebt den beiden Gründern von The Miserable Rich vor. Und es funktioniert. Das Kammermusikalische wird hier nicht maschinenstürmerisch gegen das digitale Hier und Jetzt ausgespielt. The Miserable Rich haben nichts zu tun mit den redlich-einschläfernden Quiet is the new Loud-Strebern, wie sie nördlich von Ostfriesland auf jeder Wiese wachsen. In einem anderen aber doch dem selben Leben ist James De Malplaquet mit Bonobo unterwegs, auf Ninja Tune-Schallplatten. Dass Kammermusik und digitale Lebensaspekte ganz gut in ein Leben passen ist ja keine so große Neuigkeit. Klingt aber selten so verführerisch. Verführung hat oft mit Stimme zu tun. Eine nicht repräsentative Umfrage im Freundinnenkreis ergibt: große Verführung in der Stimme. Die eine hört Buckley (mehr Tim, aber auch Jeff), die nächste hört Antony (Hegarty, von den Johnsons) die übernächste den juvenilen Sohn von Kurt Wagner (Lambchop). Und irgendwer sprach von Little Jimmy Scott.

Verführerisch ist auch das Sound-Design von The Miserable Rich. Ein Echo von dieser Englishness, Brian Eno- und Robert Wyatt-Platten aus den Siebzigern, die schon Folktronics waren, Jahrzehnte bevor einer den Begriff erfand. Folktronisch funktioniert auch Miserable Rich's Cover von „Over and over“, dem Konsenshit von Hot Chip.

Das knistert, klingelt, schellt, spieluhrt und maultrommelt wie im Kinderzimmer von Coco Rosie. Mit „Over and Over“ haben sie die Playlists der besseren Radiostationen dieser Welt erreicht, heavy rotation bei FM 4 in Österreich und bei ByteFM! Auf dem Debütalbum fehlt der Download-Only-Track, hier gibt es ausschließlich eigene Songs. 12 Songs - 12 Ways To Count. Das können sie sich leisten, schließlich sind The Miserable Rich kein Novelty-Act für die U20-Indiedisco. Nach dem zwanzigsten Hören entdeckt man immer noch überraschende Details, tolle Ideen, merkwürdige Kurven.

James De Malplaquet ist ein äußerst eigenwilliger Songwriter. Mit „Pisshead“ ist ihm der tragikomischste Trinkersong seit “You only tell me you love me when you re drunk” von den Pet Shop Boys gelungen. Der Opener „Early mourning“ prägt die Stimmung des Albums wie „Sunday morning“ den Vibe der Velvets-Bananenplatte. Überhaupt hat die Band einen ausgeprägten Sinn für Timing. In „The Time that´s mine“ braucht James De Malplaquet 104 Sekunden, um die ewigen Fragen von Zeitverschwendung, Vergänglichkeit und (Un-)Endlichkeit durchzudeklinieren.

Und wann gab es zum letzten Mal eine bessere Liebeserklärung als diese: “If you want to take me to the top of the tree I´ll be your monkey for you!“ Oder ist das eine Selbstmorddrohung? Egal. Hit! In einer Welt, in der man nicht zum Affen wird und nicht vor Verzweiflung den nächsten Baum hochklettert. Um sich runterzustürzen.

Starring: Nick Drake, Chapel Club, Gustav Mahler, Marvin Gaye, Malcolm McLaren, The Kinks, Johann Sebastian Bach...

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Playlist

1.  The Miserable Rich / Summerhill
The Flight And The Fury / Hazelwood
2.  The Miserable Rich / Pisshead
The Miserable Rich / Hazelwood
3.  The Kinks / People Taking Pictures Of Each Other
Golden Hour / Pye
4.  Penguin Cafe Orchestra / Perpetual Mobile
5.  The Miserable Rich / Mouth Of The Wolf
The Flight And The Fury / Hazelwood
6.  Marvin Gaye & Nick Drake / Northern Soul
Northern Soul / Promo
7.  Johann Sebastian Bach
8.  The Miserable Rich / Pegasus (Live bei ByteFM)
9.  The Miserable Rich / Monkey (Live bei ByteFM)
10.  Denis Jones / Elvis
11.  Malcolmmclaren / Double Dutch
Double Dutch / Virgin
12.  The Miserable Rich / Let Me Fade
The Flight And The Fury / Hazelwood
13.  Gustav Mahler Lcolm Mclaren / Ich Bin Der Welt Abhanden Gekommen
14.  Kevin Rowland / Daydream Believer
My Beauty / Sony
15.  The Miserable Rich Live / Chesnutt Sunday
16.  Chapel Club / Surfacing
17.  Unbekannt / Love Is In The Air
18.  John Paul Young / Love Is In The Air
Tolle Scheibe / EMI