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Was ist Musik Melancholie? Wenn examination in exploitation kippt. Oder doch nicht.

ByteFM: Was ist Musik vom 04.10.2015

Ausgabe vom 04.10.2015: Melancholie? Wenn examination in exploitation kippt. Oder doch nicht.

King Midas Sound / Fennesz - 'Edition 1'

Am Ende regnet´s doch. „Above Water“ heißt der 14 Minuten lange ruhige Fluss von Sound, der mir so regnerisch vorkam, dass ich ihn nochmal höre, um zu überprüfen, ob es da wirklich regnet, oder ob ich einer Autosuggestion zum Opfer gefallen bin. Und tatsächlich. Am Ende regnet es hörbar. Allerdings regnet es jetzt auch draußen, es ist der 1.September. Oder regnet es nur draußen? Egal, da läuft schon das nächste Stück, „We walk together“ und das beginnt mit einem regnerischen Knistern & Rauschen, wie wir es aus Burials ewig nachtgrauen London kennen. Und dann singt Kiki Hitomi noch vom „Stormy Weather“, in dem we walk together. Nein, sie singt nicht, sie haucht, offenbar wurde ihr das Mikrofon am hinteren Ende des Gaumens befestigt, so close to you produziert Hitomis Stimme Intimität, hart an der Grenze zur Tyrannei. Und hart an der Grenze zur irre dekorativen, Bonjour Tristesse-haften Intimität, die einst bei Portishead auf der Stelle ins Warenförmige kippte. Zuletzt war ja viel vom politischen Potential der Melancholie die Rede, die auch gelesen werden könne als Symptom des nicht mehr Mitspielen(wollen)s. Von einer „mesmeric examination of melancholy and desolation“ spricht die Selbstauskunft von King Midas Sound und wirft die Frage auf, was es hier mit der Untersuchung oder Begutachtung – der examination – von Melancholie und Verzweiflung auf sich hat und ob es sich nicht viel mehr um eine exploitation dieser Seelenlagen handelt. Das ist der schmale Grat, auf dem diese „Edition 1“ wandelt, die erste von vier Kollaborationen von King Midas Sound, eins der vielen Projekte des Kevin Martin aka The Bug aka Ice aka God aka Techno Animal aka usw. Als examination of melancholy und vielleicht gar desolation könnte auch „Endless Summer“ durchgehen, das bekannteste, weil zugänglichste Album von Christian Fennesz aus dem Sommer 2001. Da durchmißt der Wiener Gitarrist und Soundartist gewissermaßen das Strand-Terrain der Beach Boys mit dem Wissen um die Tragödien der Bandgeschichte und um das Drohpotential des vermeintlichen Versprechens vom endless summer. Die dunkle Seite des endlosen Sommers – das könnte die Schnittmenge von Fennesz und Martin sein, der ja ein Liebhaber jamaikanischer Musik ist und einer der wenigen, die verstanden haben, dass der Weiße Mann mit den geliebten Objekten Dub, Reggae & Dancehall vorsichtig und überlegt umgehen muss, sonst wird daraus schnell eine Affenliebe.

Fortsetzung in der aktuellen SPEX und bei Was ist Musik. Also starring: Sinkane remixed by Peaking Lights, Christine Perfect, The 23´s remixed by To Rococo Rot, Prequel Tapes Inner Systems, Green Gartside, Keni Burke…

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Playlist

1.  King Midas Sound / Fennesz / Loving Or Leaving
Edition 1 / Ninjatune
2.  King Midas Sound / Fennesz / Melt
Edition 1 / Ninjatune
3.  Fennesz / Endless summer
Endless summer / Mego
4.  King Midas Sound / Come and behold (ft. Green Garthside)
Without You / Hyperdub
5.  King Midas Sound / Fennesz / On My Mind (Bass Risin to the top)
Edition 1 / Ninjatune
6.  Keni Burke / Risin to the top
Risin to the top / Street Sounds
8.  Christine Perfect / I´d rather go blind
Christine Perfect / Line
9.  The 23s / The scene where the car was blown away (To Rococo Rot Remix)
Flamingo Remixe / Karaoke Kalk
10.  The 23s / Any second
Flamingo / Karaoke Kalk
11.  The 23s / Any second (Christian S. Remix)
Flamingo Remixe / Karaoke Kalk