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Was ist Musik Wir haben eigentlich schon immer Protestsongs geschrieben …

ByteFM: Was ist Musik vom 11.10.2021

Ausgabe vom 11.10.2021: Wir haben eigentlich schon immer Protestsongs geschrieben …

Sagt Horace Panter, Bassist und eins von drei verbliebenen Gründungsmitgliedern der Specials über ihr neues Album „Protestsongs 1924 – 2012“. Panter weiter: „2020 hat alles verändert mit der Black-Lives-Matter-Bewegung und dem zivilen Ungehorsam, es war das Jahr von Paranoia und Protest. Ursprünglich wollten wir ein Reggae-Album machen. Aber dann bekamen Lynval (ebenfalls Gründungsmitglied) und Nicolai, unser Keyboarder, diese komische Grippe und das entpuppte sich als Covid-19. Dann kam der Lockdown, Lynval musste zurück nach Seattle, wo er lebt, das war´s. Also haben wir beschlossen, ein Cover-Album zu machen mit Protestsongs. Wir sind rangegangen wie an eine akademische Übung: Lass uns recherchieren, nicht die naheliegenden Songs covern. Okay, wir haben „Get Up Stand Up“ aufgenommen, das ist ziemlich naheliegend.“

Ja, der „Steht-auf-und-wehrt-Euch“-Evergreen von Bob Marley ist naheliegend. Weniger naheliegend ist, was die Specials aus dem Klassiker machen. Zurückgenommen, introvertiert singt Lynval Golding „Get Up Stand Up“, als hätte er Zweifel an den hehren Worten von Marley, dem Aufstandsposterboy. Die Specials wissen, dass sie einen Aufruf zur Rebellion aus dem Jamaika der 70er-Jahre nicht eins zu eins übertragen können ins Großbritannien der Corona-Gegenwart. Und Horace Panter weiß, wie er den müffelnden Begriff „Protestsong“ mit Hier & Jetzt füllen kann.

Neben Marley werden Leonard Cohen und die Talking Heads gecovert, Civil-Rights-Gospel von den Staple Singers oder Bürgerschreckrock von Zappas Mothers Of Invention. Am überzeugendsten funktioniert das, wenn Terry Hall, der weiße Sänger der Specials, seinen persönlichen Überdruss an dieser Welt politisiert. „Fuck all the perfect people“, flüstert Hall statt es rauszubrüllen. Der torkelnde Walzer von Chip Taylor – Autor des Beat-Klassikers „Wild Thing“ – unterläuft den allfälligen Imperativ zur Selbstoptimierung mit der Klarstellung, dass nach Perfektion in einer unperfekten Welt nur strebt, wer halt ein Strebertrottel ist. Folglich muss sich auch nicht grämen, wer in dieser Welt scheitert: „I don´t mind failing in this world“ - wer könnte das Lied der kalifornischen Sängerin/Aktivistin Malvina Reynolds überzeugender performen als Terry Hall? Mit zwölf Jahren wird er von einer Bande Pädosexueller entführt, seitdem leidet er unter Depressionen. Es ist wohl kein allzu übergriffiger Kurzschluss von der Künstlerfigur auf sein Werk, wenn man – mit dem britischen Autor Mark Fisher – behauptet, dass Hall die Gespenster seines Lebens nicht nur nicht loswird, sondern dass diese Gespenster durch seine Lieder geistern. Nein, Depression ist keine Privatsache, psychische Gesundheit in einem kranken System keine Normalität. Daran erinnert der Ausnahmesänger Hall immer wieder, mit seiner qua Punk und New Wave kultivierten Poignancy, das Wort steht gleichermaßen für Schärfe und Schmerzlichkeit. Und mit dem Deadpan-Humor eines Buster Keaton.

Mehr Protestsongs einst und jetzt rund um The Specials, The Special AKA, Fun Boy Three, The Colour Field … heute und in der nächsten Sendung am 18. Oktober.

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Playlist

1.  The Staples Singers / Freedom Highway
Freedom Highway / Stax
2.  The Specials / Freedom Highway
Protestsongs 1924 – 2012 / Universal
3.  Bob Marley & The Wailers / Get up stand up
Get up stand up / Island
4.  The Specials / Get up stand up
Protestsongs 1924 – 2012 / Universal
5.  Leonard Cohen / Everybody knows
I´m your man / CBS
6.  The Specials / Everybody knows
Protestsongs 1924 – 2012 / Universal
7.  The Specials / Too much too young
The Specials / Two Tone
8.  The Specials / Ghost Town
Ghost Town / Two Tone
9.  Kode 9 ft. Space Ape / Ghost Town
Ghost Town / Hyperdub
10.  Hot 8 Brass Band / Ghost Town
Ghost Town / Rhino
11.  The Beat / Mirror in the bathroom
Mirror in the bathroom / Go Feet