Neue Platten: Future Islands – „Singles“

Future Islands - Singles (4AD)Future Islands – „Singles“ (4AD)

9,0

Beim Hören von „Singles“, Future Islands’ neuem Album, dem ersten seit nunmehr fast drei Jahren, sind wir quasi auktorial dabei. Ihre ausgedehnten Synthiesounds, sie klingen ein wenig nach langer, verregneter Waldstraße im Frühling – saftig, freundlich und so beschützend wie einsam.

Im Ohrensessel lauschend spüren wir von ganz weit oben den warmen Regen, der in Zeitlupe von großen, sattgrünen Blättern auf unsere Stirn transzendiert, während wir unten eine KTM-Motocross über den löchrigen Asphalt der Waldstraße preschen sehen: Die knarzige, merkwürdig zurückhaltend herrische Stimme Samuel T. Herrings klingt wie ein gelegentlich fehlzündender Zweitakter. Ein Joe Cocker des Pop, im Gehäuse eines Minimoog eingesperrt, stimmt zappelnd, wütend und fauchend eine leise Arie der Flucht an. In der Erkenntnis des permanent Gegenwärtigen unseres Daseins scheint für Herring ein Moment gespannter Entspannung oder entspannter Anspannung zu liegen.

Und wohin flüchten? Das Cover liefert uns eine Antwort. Eine junge Frau im sommerlichen Kleid schwebt über dem Meer. Sie blickt gen Horizont, dem Betrachter den Rücken zugewandt. Dort, wo ihr Kopf säße, ist nichts als Wolken. Ist er abgetaucht und in den Wolken verschwunden? Am fernen Horizont erblicken wir die Küste einer Inselgruppe. Das sind sie, die zukünftigen Inseln, auf die wir uns wohl flüchten könnten, sollten, (wollen?), um dem Hier und Jetzt zu entfliehen. Und der Kopf der Unbekannten? Möglicherweise ist er bereits auf die Insel gelangt, durch das Hören von „Singles“ natürlich.

Ist das ein Quatsch? Nein, das ist kein Quatsch. Die Herren von Future Islands haben mit ihrem Album ein veritables Kunstwerk geschaffen, das unsere Köpfe in fantastische Schäfchenwölkchen bettet. Wohler als beim Hören von „Singles“ fühlten wir uns nur damals, im sonntäglichen Bett der Eltern mit heißer Schokolade und Himbeermarmeladenbrötchen von Mama. Und schon damals konnten wir in diesen kleinen Momenten der Glückseligkeit die Sekunden der Einsamkeit vergessen, die sich bisweilen wie bitterkalte Fieberträume über uns senken.

Nur einzelne Songs dieses Albums herauszugreifen, um sie zu loben, mutet fast blasphemisch an. So erklärt sich möglicherweise auch der Name des Albums: Jedes Stück dieser Platte steht für sich, in sich geschlossen, rund und gut. Jedes Lied spricht eine eindeutige Sprache und teilt uns mit: William Cashion (Bass / Akustik- und Elektrikgitarre), Gerrit Welmers (Keyboard / Programming) und Samuel T. Herring verstehen sich wunderbar. Ihr komplexes Zusammenspiel, das die stets ungeplant erscheinenden emotionalen Ausbrüche Herrings ermöglicht, lässt sich nur in einer konzertierten Konstellation des perfekten Miteinanders realisieren. Hier ist es so.

Welch geballte Energie purer Menschlichkeit in Future Islands kanalisiert, zeigt ihr Auftritt bei David Letterman. Die Band, mit „Singles“ nun bei 4AD unter Vertrag, wartet hier bei der Präsentation des ersten Titels ihres Albums, „Seasons (Waiting On You)“, mit einer Zartheit auf, die nahezu an Gewalttätigkeit grenzt. Gänsehaut.

Label: 4AD | Kaufen

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Alex
    Mrz 22, 2014 Reply

    wie recht du hast…ein ganz tolles Album!

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