Run The Jewels – „RTJ4“ (Rezension)

Bild des Albumcovers „RTJ4“ von Run The Jewels

Run The Jewels – „RTJ4“ (Jewel Runners)

8,7

Mitten in den Protesten um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd – und hier könnte man aufhören zu lesen, sind die Überschriften zum neuen Album von Run The Jewels doch schneller geschrieben, als ein BlackoutTuesday-Hashtag aufs Display gepatscht ist. Als hätte Killer Mike es vorhersagen wollen („Now I understand that woke folk be playin‘“), dekorieren sich Menschen und Medien jetzt mit diesem „woken“ Duo. Es ist eine komfortable Liegeposition, aus der man sich den Jubel-Arien anschließt. Und es ist nicht einmal verkehrt. Das neue Album von Killer Mike und El-P alias Run The Jewels verdient jede Plattform. Doch die „Jagd auf Rassismus“ (SZ) zielt wieder mal weiter als nur „Soundtrack zu Polizeigewalt“ (DLF) sein zu wollen.

Killer Mike und El-P hätten auf die Aktualität ihrer vierten Salve gerne verzichtet. Hinter vielen vordergründigen Highlights zimmern sie einen doppelten Boden, der das Album über dem Kielwasser hält, das hohle Wortfässer wie „Protestsoundtrack“ (Spiegel) schnell untergehen lässt. Wer nur Antirassismus für Trendbefriedigung in 280 Zeichen sucht, bekommt schon nach solchen Raps wie „And you so numb you watch the cops choke out a man like me / Until my voice goes from a shriek to whisper, ‚I can’t breathe’“ entzückte Schnappatmung. Doch Run The Jewels‘ Wutschnauben holt tiefer Luft, um sich eben nicht nur am offensichtlichen Missstand zu entladen, sondern an der Perversion einer Medialisierung von Rassismus: „And you sit there in the house on couch and watch it on TV / The most you give’s a Twitter rant and call it a tragedy / But truly the travesty, you’ve been robbed of your empathy” (aus dem Track „Walking In The Snow“). Damit macht das Duo das Dilemma deutlich, dass es nur eine Gruppe in diesem Konflikt gibt, die nach dem Konsum umschalten und sich mit dem nächsten Programm amüsieren und zurücklehnen kann.

Mehr als Kritik an Weißer Vorherrschaft

Schwer in Ordnung also, wenn El-P und Killer Mike ihre Kreativität den Texten widmen statt ihren Albumtiteln. Wozu auch? „RTJ4“ sagt ohnehin genug. Wer die ersten drei Alben gehört hat, weiß, worauf es zu freuen sich lohnt. Für alle anderen könnte tatsächlich unerheblich sein, welche der Alben eins bis vier sie als erstes hören. Diejenigen, denen Politik herzlich egal ist, finden darauf einfach fetten Hau-drauf-HipHop zum Abreißen. Auch das ist okay, haben Killer Mike und El-P das Album gerade auch deshalb gratis veröffentlicht, um allen eine Freude zu machen, die gerade eine gebrauchen können. Doch skaliert sich die Bewunderung für Nummer vier mit steigender Hingabe an das lyrische Produkt. Institutionalisierter Rassismus ist eines der Themen, wie auf „JU$T“: „Mastered economics ‚cause you took yourself from squalor (Slave) / Mastered academics ‚cause your grades say you a scholar (Slave) / Mastered Instagram ‚cause you can instigate a follow (Shit) / Look at all these slave masters posin‘ on yo‘ dollar (Get it, yeah)“ .

Doch ist es eben genau diese Haltung auf „RTJ4“, die auch die Schwarze Community in die Pflicht nimmt und die Frage stellt, wer sich wessen Idealen unterordnet, die das Album zu so viel mehr macht als Kritik an Weißer Vorherrschaft. Und weil er Chomsky und Bukowski gelesen hat, bewirbt sich Killer Mike auch nicht darum, das nächste Gesicht einer Protestbewegung zu sein, wie er im Track „A Few Words For The Firing Squad” bekräftigt: „Friends tell her, ‚He could be another Malcolm, he could be another Martin‘ / She told her partner, ‚I need a husband more than the world need another martyr‘.“

El-P bleibt zwar technisch der schwächere Rapper, hat es aber auch nicht nötig, mit seinem Kollegen zu konkurrieren. El-P sorgt dafür mit Wortspielen für gelegentliche Erleichterung, ohne dass er sich zum Clown macht: „I’ll kill the mood, I’m a Buddhist MacGyver / I’ll slap a yapper [Slang für Mund, Anm. d. Red.] from the acne to the tooth bone fiber, I’m liver / … / And I’m a born and bred in USA who chop and screw truth up / Think I got a case of the Mondays, on fire.“

Kämpferisch, zynisch, wehmütig

Vielmehr noch zeichnen zynische Zeilen wie „Skyline ablaze in a Bob Ross pic“ („Goonies vs. E.T.“), mit einem bitteren Lächeln den Wald voller „happy little accidents“ auf Regenwaldpapier. El-P verkommt in dieser Konstellation auch deshalb nicht zum Adjutanten des am Mikrofon wie ein Anführer wirkenden Killer Mike, weil der ihm für dieses musikalische Knalltrauma in Form von Beats danken muss (und das auch tut).

„RTJ4“ kommt nicht im intellektuellen Bluenote-Bürgerrechtlergewand wie einst der Neo-Soul der Q-Tips und Questloves daher. Trotz seines knüppelharten Klanggehäuses ist es im Inneren nicht weniger belesen und kulturell pointiert. Referenzen auf Kurt Vonnegut und Ayn Rand („Got a Vonnegut punch for your Atlas shrugs“) sind clevere Wendungen. Genau wie Anspielungen auf Memes wie den „Epic Beard Man“: „I’ma come through and leave some damage / Goddamn, somebody call amber-lamp / Or ambulances, it’s out of chances.“

Die selbsternannten „Pyrotechnokraten“ tapezieren weiße (Safe-)Häuser mit ihren „Gun-And-Fist“-Emojis. Komfortzonen werden gestürmt, wunde Punkte mit Salzlösung herausgeätzt. Dank ihres satirischen Anstrichs ziehen Run The Jewels aber trotz aller realen Tragik nicht runter, sondern rütteln auf. Am musikalischen Backend tummeln sich diesmal ein paar mehr Melodien als sonst. Aber das muss gar nicht groß thematisiert werden. Run The Jewels ballern nach wie vor Krater in Wände. „RTJ4“ ist ein Rave auf Asphalt mit erhobener Faust. Kämpferisch, zynisch, wehmütig – und angepisst vom stilisierten Drama.

Veröffentlichung: 3. Juni 2020
Label: Jewel Runners

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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