Die Anpassung der Independent-Szene an das Internet

Jedes Jahr stellt der Bundesverband Musikindustrie e.V. eine Jahresbilanz zur Verfügung. Darin werden die Verkaufszahlen vorgestellt, es wird mit horrenden Zahlen um sich geworfen und die Vorstellung einer „Musikindustrie“ nähert sich dem Jahresbericht eines DAX-Unternehmens. Einige Seiten später wird die Realität deutlich: Bunte Linien – und Säulendiagramme stellen die Verkäufe in den Vergleich mit den Vorjahren und alles zeigt in eine Richtung – nach unten!
Dazu ein Zahlenbeispiel: Von 1999 bis 2009 ging der Verkauf der Tonträger um 42 % zurück. Diese Zahlen sind erdrückend, aber gerade die Bilanzen der großen Labels erwecken den Eindruck von Luxusproblemen. Es findet seit einigen Jahren ein gravierender Umbruch in der Musikindustrie statt, an dem die Verbreitung über das Internet einen großen Anteil hat. Neben den großen Major Labels, deren Millionenumsätze einbrechen, kämpfen kleine Independent-Labels, unbekannte Künstler und alternative Musikvertriebe ums nackte Überleben. Aber im Gegensatz zu den großen Fischen im musikalischen Gewässer, scheinen sich eben diese Vertriebsformen der digitalen Revolution besser anpassen zu können.Der Spiegel beleuchtet diese Entwicklung in einem ausführlichen Artikel und anhand zahlreicher Interviews mit verschiedenen Beteiligten aus der Musikindustrie.

Der Hamburger Musiker Olli Schulz schildert seine Sicht der Dinge. Am Anfang seiner nationalen Karriere standen Produktionen am Heimrechner an. Diese waren erschwinglich, aber Geld ließ sich damit natürlich nicht verdienen. Bei der Zusammenarbeit mit einem Major-Label floss zwar schließlich mehr Geld in die Kassen, das musste dann aber unter professionellen Musikern, Produzent, Promotion und Studiokosten aufgeteilt werden. Seinen Lebensunterhalt verdient Olli Schulz mittlerweile überwiegend durch Auftritte und gelegentlichen GEMA Abrechnungen. Pläne, die den Geldbeutel etwas mehr belasten wie beispielsweise Urlaub oder Reparaturen am Auto, müssen erst mit einer sechswöchigen Tour „eingespielt“ werden. Dazu gehört auch, dass man Auftritte spielt, die nicht nach dem eigenen Gusto sind. Irgendwann steht ein Musiker vor der Entscheidung, alle Zügel selbst in der Hand zu halten oder doch etwas Administration an einen Booker oder Promoter abzugeben. Dadurch bleibt man Musiker und gibt den Statuts als Geschäftsmann ab, verursacht gleichzeitig aber auch wieder beträchtliche Kosten. Olli Schulz rät deshalb zum Pragmatismus, ihm geht es natürlich um die Musik, aber er lässt sich auf Kompromisse ein, wenn das Geld knapp wird.

Klein angefangen hat auch das Indie-Label Audiolith. Lars Lewerenz arbeitet Vollzeit in Vertrieb sowie Promotion und ist im ständigen Kontakt zu den Fans – das Internet macht’s möglich. Ein großes Startkapital war nicht vorhanden, das Unternehmen arbeitete sich mit wachsenden Stückzahlen an Veröffentlichungen nach oben. Dabei birgt jede Veröffentlichung auch ein Risiko in sich. Gerade bei physischen Tonträgern kann man auf einem beachtlichen Wert an unverkauften Produktionen sitzen bleiben. Eine Inventur ergab kürzlich einen Warenwert von 30.000 Euro. Das Netz ist auch aus diesem Grund eine wichtige Plattform. Neben niedrigeren Produktionskosten ergeben sich auch Vorteile für die Promotion und den Kontakt mit den Konsumenten. Lewerenz zeigt zudem auch für Filesharer Verständnis. Die sofortige Verfügbarkeit und keine Kosten sind überzeugend genug. Wem eine Band oder ein Künstler allerdings am Herzen liegen, der müsse man auch bereit sein, etwas dafür zu zahlen. Von der Musikindustrie in der Krise will Lewerenz auch nichts wissen: Wenn die Verkaufszahlen und die Anzahl von kleinen Plattenläden zurückgehen, müssten diese eben auf Onlineverkäufe umsatteln.
Die Umsätze aus Online- und Tonträgerverkäufen seien aber nicht so einfach zu vergleichen, meint Gunther Buskies von
Tapete Records. Vor allem für Künstler scheinen kostenpflichtige Downloads als Vertriebsform attraktiver, dadurch lässt sich ein Anteil von 35% der Verkäufe sichern. Um gravierenden Umsatzeinbußen entgegenzuwirken, setzt Buskies auf eine langfristige Planung und realistische Kalkulationen. Vielleicht ist gerade ein vernünftig aufgestellter Jahresplan der entscheidende Unterschied zwischen der Arbeitsweise von Indie- und Major-Labels. Der Gewinn wird sofort reinvestiert und für laufende Kosten aufgewendet. Für Rücklagen bleibt nicht mehr viel übrig, zudem ist bei einer Gehaltsauszahlung von 500 Euro an eine Rentenversicherung nicht zu denken. Ein trauriges Dasein? Vielleicht. Buskies scheint es aber um die Sache zu gehen, in diesem Fall: Keine Kompromisse, ehrlich wirtschaften und auch eine zweite Chance für Künstler, die es beim ersten Anlauf nicht geschafft haben.

Oke Göttlich kann sich über die Entwicklung der letzten Jahre wahrlich nicht beschweren. Er betreibt den Digitalbetrieb Finetunes und hilft kleinen Labels, ihre Veröffentlichungen in digitalen Musikstores zu platzieren. Damit nimmt er eine wichtige Schlüsselfunktion und Verhandlungsposition zwischen zwei ungleich großen Verhandlungspartnern ein. Mittlerweile stehen Labels auch oft vor der Entscheidung, ihre Musik durch kostenlose Downloads einem größeren Publikum zugänglich zu machen oder durch kostenpflichtige Downloads doch noch Umsatz zu machen. Die Digitalisierung an sich sei wichtig und richtig, aber die Urheberrechte dürften dabei nicht verletzt werden, mahnt Göttlich.

Das führt aber viele Musikhörer in ein persönliches Dilemma. Zahlt man für die Musik, wird die Menge schon durch das eigene Budget begrenzt; lädt man sehr viel Musik illegal herunter, muss man sich der rechtlichen Konsequenzen bewusst werden. Das Internet eröffnet einen riesigen Musikmarkt und die schnellstmögliche Aktualisierung und Information über die Bewegung auf dem Markt. Haptik und überfüllte CD-Regale haben hingegen an Bedeutung verloren. Die Bereitschaft für die bloße Musikdatei zu bezahlen ist allerdings ebenfalls gering. Die Interviews zeigen jedoch, dass Indie-Labels, kleinere Künstler und unbekanntere Unternehmen mit der Herausforderung besser umgehen können als schwerfällige Musikkonzerne, deren Digitalisierungskritik den Jammern auf hohem Niveau gleicht. Die Flexibilität von Audiolith oder Tapete Records eröffnen neue Vermarktungswege und binden das Internet als kostengünstige und schnelle Plattform in ihren Vertrieb ein. Die Adaption dieser Entwicklung wird ihnen wohl damit die Existenz sichern. Die digitale Revolution wird zur digitalen Evolution: Survival of the fittest.

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