Neue Platten: The Antlers – „Familiars“

The Antlers - Familiars (Transgressive)The Antlers – „Familiars“ (Transgressive)

8,2

„Well this is my house. So fuck your doubts and your cute battalion.“ (The Antlers – „Intruders“)

2003 veröffentlichte der amerikanische Schriftsteller Matt Ruff ein Buch über einen jungen Mann, der aufgrund von traumatischen Kindheitserlebnissen eine multiple Persönlichkeitsstörung entwickelt hat. Eine Vielzahl an Seelen lebt in dem Körper von Andrew Gage, sowohl weibliche als auch männliche, die alle die Kontrolle über ihn erlangen wollen. Durch eine langjährige Therapiearbeit schafft es Gage allerdings, ein Haus für diese Seelen in seinem eigenen Verstand zu bauen. Und er bestimmt im permanenten Dialog mit ihnen, wann sie das Haus verlassen und seine Persönlichkeit für kurze Zeit übernehmen können.

Ob Peter Silberman, Mastermind und Texter der aus Brooklyn stammenden Formation The Antlers, Ruff gelesen hat, weiß man nicht. Fakt ist allerdings, dass das neue Album der Antlers, „Familiars“, die Thematik von „Ich und die anderen“ so treffend vertont, als sei es als Teil des Romans konzipiert worden. „Familiars“ handelt von Häusern, die der Protagonist erbaut, von sterilen Hotels, als emotional unbefleckte Orte zur persönlichen Reflexion, von einem Palast als finalen Rückzugsort, von „Intruders“, also Eindringlingen, gegen die es sich zu verteidigen gilt, von einem „Director“, einem Regisseur, der alles zusammenhalten soll.

Aber nichts davon spielt sich in einer Realität ab, die sich außerhalb eines Kopfes befindet. Die Eindringlinge sind Teil der Persönlichkeit, der Ruf nach einem „Director“ ist die Hoffnung auf einen klaren Überblick über den eigenen Verstand, das „Hotel“ kann nicht emotional unbefleckt sein, es ist ja im eigenen Geist gebaut. Die zwei auf dem Cover von „Familiars“ in starrer Umarmung verharrenden Zwillings-Statuen visualisieren die Zwiesprache der verschiedenen Persönlichkeiten.

The Antlers hauen damit einmal mehr eine tiefsinnige, feinst gesponnene lyrische Meisterleistung raus. Anders als bei ihrem Durchbruchs-Album „Hospice“ aus dem Jahr 2009 wird das höchst dramatische, einen emotional attackierende Thema dieses mal jedoch nicht eins zu eins musikalisch umgesetzt. Während Silberman 2009 noch mit lauten Shoegaze-Gitarren, dem molligsten Moll aller Molls und einer musikalischer Klimax nach der anderen einen seelischen Trip mit Unhappy End für den Hörer garantierte, gehen es The Antlers auf „Familiars“ sanfter, teilweise fast loungig an. Silbermans Stimme klingt so „schön“ wie nie, das heißt auch, dass sie ihm in den hohen Falsett-Lagen nicht mehr so (gewollt) entgleitet wie noch auf „Hospice“ und dem 2011 erschienenen „Burst Apart“. Stattdessen beeindrucken Sicherheit und Facettenreichtum seines Organs. Silberman singt teilweise so tief wie noch nie, vor allem in „Doppelgänger“ muss man sich kurz am Kopf kratzen: Hat Silberman hier gerade böse geklungen?

Aber das ist die Ausnahme. Zumeist könnte man „Familiars“ auch einfach nebenbei hören. Aber dann erwischt es einen doch immer wieder, diese eine gewisse Wendung, die ihre Krallen ins Herz schlägt. Wie nach der Hälfte von „Parade“ oder beim Einsatz des Schlagzeugs im Opener „Palace“. Auch hier lässt sich dann wieder eine Brücke zu „Ich und die anderen“ schlagen. Traurigkeit und Dramatik des Themas schwimmen nicht an der Oberfläche, aber sie sind definitiv da. Und gibt man diesem Album Zeit, gerne auch mal eine Woche und zehn Durchläufe, dann hat es einen. Dann klopft das Herz.

„We have to make our history less commanding“, singt Silberman in „Surrender“. Wir wünschen viel Glück, sind aber bei der weiteren Aufarbeitung gerne noch lange dabei!

Label: Transgressive | Kaufen

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