„Synthesizer materialisieren unsere Gefühle“ – When Saints Go Machine im Interview

(When Saints Go Machine)When Saints Go Machine

Mit „Infinity Pool“ veröffentlicht die dänische Band When Saints Go Machine ihr drittes Studioalbum.

Der direkte Weg zur Platte führte über Umwege. Was auf dem Vorgängerwerk „Konkylie“ noch an cineastischer Breite vorhanden war, wird nun durch kompakte Beats ersetzt. Mit „Love And Respect“, eine Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Rapper Killer Mike, geht das Quartett einen Schritt in Richtung Rap. Alles scheint möglich. Subsonische Bässe wie in „Degeneration“, die majestätische Elektro-Funk-Hymne „Order“, das verzweifelte Warten auf einen Höhepunkt, der einfach nicht eintreten will, im Stück „Infinity“, bei dem man das Schmatzen des Sängers Nikolaj überdeutlich hört. Der menschliche Fehler als Konzept im ästhetischen Raum der unendlichen technischen Möglichkeiten – das ist die Essenz von When Saints Go Machine.

Im Interview auf dem diesjährigen SPOT Festival sprechen die Keyboarder Jonas Kenton und Simon
Muschinsky über die Imitation der (menschlichen) Natur, die Ästhetik des Swimming-Pools und Maschinen als essentielles Werkzeug ihrer Arbeit.

Am Freitag ab 17 Uhr sind Teile aus dem Interview im SPOT-Rückblick in der Sendung Popschutz zu hören.

Bei unserem letzten Interview sprach euer Sänger Nicolaj über die öffentliche Musikförderung
durch den dänischen Staat. Er sagte, auf der einen Seite sei das eine gute Sache; aber auf der
anderen sei es viel zu einfach Musik zu machen, es gäbe kein harten Zeiten, die man als Künstler
überbrücken müsste. Jetzt scheint es, als hättet ihr diese Art künstlerische Krise erlebt.

Jonas: Ich würde nicht von einer Krise sprechen. Es war ein bisschen schwieriger dieses mal. Aber das
ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Es muss nicht immer einfach sein. Die Situation hat das vorgegeben. „Konkylie“, unser erstes international erfolgreiches Album, haben wir in einem Ferienhaus am Meer aufgenommen. Das ganze war sehr ruhig, fast atmosphärisch. Das war dieses Mal einfach anders.

Was genau war anders? Welche Schwierigkeiten standen im Weg?

Simon: Wir haben es wieder in dem Ferienhaus versucht. Aber ziemlich schnell wurde uns klar: Das
wird nicht funktionieren. Also mieteten wir für drei Wochen ein teures Aufnahmestudio. Wir dachten: Jetzt nehmen wir alles in einem Rutsch auf wie eine richtige Band. Aber auch das war nicht sehr erfolgreich. Also gingen wir nach Hause in unsere Home-Studios und arbeiteten unabhängig voneinander und schickten die Aufnahmen hin und her. So haben wir das komplette Album gemacht.

Also am Ende ziemlich unorganisiert?

Jonas: Eigentlich war es sehr gut organisiert. Trotzdem sind viele Dinge schief gelaufen. Das Ding ist:
Wir sind vier Produzenten. Jeder hat eine Meinung und eigene Gedanken wie eine Aufnahme klingen muss. Jeder von uns hat verschiedene Emotionen zu einem Song. Es ist total schwierig geteilte Emotionen über ein und dieselbe Sache zu haben…
Simon: … außerdem haben wir alle ziemlich große Egos. Wir wollen unseren Standpunkt durchsetzen.
Jonas: Und jetzt brauchen wir erst mal einen Therapeuten.

Einen Band-Psychologen müsstet ihr Euch doch mittlerweile leisten können.

Jonas (lacht): Das wäre grandios. Vielleicht braucht jede Band einen Psychologen.

Der Titel der neuen Platte ist „Infinity Pool“. Das ist ein Pool, dessen Rand so abgesenkt ist, dass
man den Eindruck hat, das Wasser würde im Nichts oder eben in der Unendlichkeit verschwinden.

Jonas: Es ist ein Symbol. Etwas, das die Leute zum Nachdenken anregt. Wir sprachen über Egos, wir
haben alle unsere eigene Interpretation, was es bedeutet. Aber wichtig ist doch, dass Musik und Kunst gut ist, sobald sie Leute zum Denken anregt, sie zum Interagieren animiert. „Infinity Pool“ steht für Reichtum, für verschwenderisches Geldausgeben. Das ist eine Idee. Du kannst es interpretieren, wie du willst.

In einem Interview habt ihr gesagt: Euch ginge es um die Ironie, dass Menschen versuchen die
Natur zu imitieren – inmitten der Natur selbst.

Simon: Das ist ein Gedanke. Für mich ist das überhaupt ein ziemlich abstrakter Gedanke: Einen Pool bauen. Du versuchst Wasser innerhalb eines quadratischen Lochs zu sammeln. Lustig und absurd zur gleichen Zeit.

Wieder die Wasser-Metapher. Schon „Konkylie“ nahm Bezug auf den Namen einer bestimmten
Muschel. Ist das Fluide eine Inspiration für Euch?

Jonas: Das kam uns auch in den Sinn. „Konkylie“ war etwas aus dem Meer, aus der Natur. Die neue Platte hingegen ist härter, es ist so ein Stadt-Ding. Sie ist unruhiger, auch in der Art der Aufnahme. „Infinity Pool“ ist dieses Mal ein Stellvertreter für die menschliche Natur. Wir geben ständig Geld aus oder bauen unnütze Dinge.

(When Saints Go Machine - Infinity Pool)(When Saints Go Machine – Infinity Pool)

„Infinity Pool“ kommt kompakter daher. Der Sound ist trotzdem flüssiger, und ja – ein bisschen
urban…

Simon: Ja, urban, das liegt natürlich auch am Artwork.

Was habt ihr euch eigentlich gedacht bei diesem Artwork? Man kann ja nicht mal den Titel
vernünftig lesen.

Jonas: Ach, wir haben das selbst gemacht. Zusammen mit ein paar Leuten von einer dänischen Filmschule, die ziemlich gut darin sind, 3D-Grafiken zu animieren. Wir wollten, dass es hässlich aussieht. Hässlich in einem schönen Sinn. Das ist uns gelungen. Es sieht doch verdammt cool aus. Dieses goldene Logo erinnert ein bisschen an den Fernsehsender Al Jazeera oder ein altes Computerspiel.
Simon: Es ist kitschig, das stimmt. Aber gleichzeitig höchst ernst.

Immerhin irritiert es. Aber man kann es nicht wirklich ernst nehmen.

Simon: Unsere Musik ist aber sehr ernst. Wir wollen ernst genommen werden. Gleichzeitig haben aber Nicolajs Texte viel Humor und lustige Bilder. Das Artwork, diese kitschig und billig aussehende türkische Grafik, lenkt den Fokus aber doch auch mehr auf die Musik. Sie wird schärfer.

Trotzdem ist Nicolajs Stimme sehr verwaschen und nicht auf Anhieb zu verstehen.

Simon: Manchmal ist es ja auch einfach nur schön die Stimme zu hören, obwohl man den Text nicht
versteht. Es ist ein Instrument.
Jonas: Die menschliche Stimme ist das ultimative Instrument. Jeder Mensch findet doch andere Menschen interessant. Das klingt verrückt, aber so ist es… Vielleicht kann eine Geige oder ein Orchester ähnliche Emotionen hervorrufen. Ich denke da an Hollywood-Filme. Aber eine gute Stimme kann dich völlig auseinander reißen.

Aber eure Musik ist doch vor allem von Maschinen gemacht!

Simon: Nein. Nicht von Maschinen. Sie ist von uns gemacht – mit Hilfe von Maschinen. Sie sind unser
Werkzeug. Wir benutzen sie, weil wir all diese interessanten Klänge mögen. Es ist eine Art sich
auszudrücken. Es gibt da ein Interview mit Herbie Hancook. Darin spricht er über den Fairlight-Sampler, einer der ersten Sampler überhaupt. Er sagt: Ein Sampler ist ein Werkzeug, genau wie eine Axt. Du kannst sie benutzen, um Holz zu hacken oder um deinen Nachbar zu ermorden. Es ist doch das gleiche mit Synthesizern…

Du kannst sie benutzen, um Menschen umzubringen?

Simon: Du kannst sie entfremden, sie auf verschiedene Art benutzen. Nicht die Maschinen
bestimmen, wo es lang geht, sondern wir. Unsere Gefühle werden durch sie materialisiert.

When Saints Go Machine live:

31.05. Immergut Festival – Neustrelitz
01.06. Modular Festival – Augsburg,
02.06. Maifield Derby Festival – Mannheim,
21.06. C/O POP Festival – Köln – Gloria
12.07. Phono Pop Festival – Rüsselsheim
26.07. Appletree Garden Festival – Diepholz
27.07. Juicy Beats Festival – Dortmund

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