Jamila Woods – „Water Made Us“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 16. Oktober 2023

Cover des Albums „Water Made Us“ von Jamila Woods, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Jamila Woods – „Water Made Us“ (Jagjaguwar)

Der Mississippi ist der zweitlängste Fluss der USA. Mit seinen fast 4000 Kilometern durchteilt er fast das komplette Land, vom Lake Itasca im nördlichen Minnesota bis zum Golf von Mexiko. Eine wahre Naturgewalt, die aber natürlich trotzdem nicht vor Menschenhänden sicher ist. Teile des Stroms wurden im 20. Jahrhundert industriell begradigt, um Platz für neue Bauprojekte zu schaffen. Doch das Wasser erinnert sich, wie Literatur-Nobelpreisgewinnerin Toni Morrison in einer Rede im Jahr 1996 beschrieb. Genau diese von Menschen veränderten Gegenden wurden schließlich oft von starken Unwettern überschwemmt. „’Überflutet‘, ist das Wort, das sie benutzen“, sagte die afroamerikanische Autorin, „doch es ist nicht einfach eine Flut, es ist eine Erinnerung. Daran, wo es herkam. Wasser hat ein perfektes Gedächtnis. Und es will immer und immer wieder dahin zurück, wo es einst war.“

„The good news is / We were happy once“, singt Jamila Woods in „Good News“, zum Ende ihres neuen Albums. „The good news is / Water always runs back / Where it came from.“ Morrison verglich in ihrer Rede die zyklische Natur des Wassers mit der Rolle von Autor*innen. Sie haben die Aufgabe, sich zu erinnern. Bereits begangene Täler wieder zu durchfließen und festzuhalten. Und genau das macht auch Jamila Woods auf ihrer dritten LP. Deren Titel: „Water Made Us“.

Das Wasser erinnert sich

Dieser Titel ist direkt von Morrison inspiriert – erst einmal nichts Neues für die R&B-Musikerin aus Chicago, deren Musik schon oft von Zitaten durchzogen war: Auf ihrer 2019 erschienenen zweiten LP „Legacy! Legacy!“ verneigte sich Woods vor Schwarzen Künstler*innen wie Eartha Kitt, James Baldwin oder Octavia Butler. 2020 schob sie mit der Single „Sula (Paperback)“ einen Tribut an Morrison hinterher, benannt nach ihrem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1974. Statt dem afroamerikanischen Kanon weiter zu huldigen, wendet Woods sich diesmal nach innen. „Water Made Us“ ist eine Reflektion über eine Länge von 17 Songs. So führt sie uns durch eine vergangene Beziehung, von der ersten Euphorie über die komplizierteren Mitten bis zum Ende. „I’ll make it back to where I been / My footprints will be different then“, singt sie weiter in „Good News“.

Diese Geschichte beginnt mit „Bugs“, dem ersten Song. Woods‘ Stimmung ist erst nervös, ein bisschen zynisch – warum sollte man eine Beziehung beginnen, die ohnehin über kurz oder lang in Schmerz enden wird. Später im Song siegt dann doch die freudige Aufregung: „Love is the warmest weather / Why not open the windows?“ Die glühende Euphorie wird von Streicher- und Harfenornamenten eingefangen, die um Woods gewohnt warme R&B-Instrumentals strahlen. „It’s gonna be a tiny garden / But I’ll feed it everyday“, singt sie im folgenden Song, gleichzeitig vorsichtig und liebevoll.

Eine Beziehung zwischen zwei Menschen

Im weiteren Verlauf der LP nehmen die schweren Phasen zu, was sich auch in der Musik äußert, von der stolpernden Autotune-Trap-Exkursion „Send A Dove“ über die tiefe Melancholie der Ballade „Wreckage Room“ (mit der Hookline „Don’t be sorry if you leave“) bis zum nüchternen Folk von „Wolfsheep“. Nach diesen Tiefen folgt der komplizierte Teil, eine auslaugende On-Off-Phase – die musikalisch aber am meisten Spaß macht. So catchy wie in dem Synth-Pop-Beziehungsstreit „Boomerang“ klang Woods lange nicht. Und auch das folgende „Still“ ist in seinem Drama ein überaus eingängiges Stück R&B-Kunst. Trotz der Überlänge ziehen die Songs in Windeseile vorbei.

Nach all den Abzweigungen und Schlangenlinien mündet der Handlungsfluss von „Water Made Us“ in einem transzendentalen Schluss. Eine echte Beziehung zwischen zwei Menschen kann auch über eine Trennung hinaus nachklingen. Der Partner oder die Partnerin mag nicht mehr da sein und ist dennoch stets dabei. „There’s good news hiding right behind every burden“, heißt es in „Good News“.

Es gibt da noch eine Rede einer großen US-Literaturgestalt über das Thema Wasser. Sie heißt „This Is Water“, stammt von David Foster Wallace und beginnt mit einer Parabel. Zwei Fische schwimmen an einem älteren vorbei. Letzterer begrüßt beide: „Na, wie ist das Wasser heute?“ Als er vorbeigezogen ist, fragt der eine den anderen: „Was zur Hölle ist Wasser?“ Ihm ging es um die Kunst des Denkens, des Hinterfragens und der Empathie. In „Water Made Us“ kombiniert Jamila Woods sowohl Foster Wallaces als auch Morrisons Wasser-Philosophien: Sie schwimmt durch bekannte Gewässer und reflektiert dabei nicht nur die Vergangenheit, sondern das ganze Konzept der Liebe.

Veröffentlichung: 13. Oktober 2023
Label: Jagjaguwar

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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  • Foto von Jamila Woods (Foto: Jagjaguwar)
    Jamila Woods ist Spoken-Word-Künstlerin, leitet Workshops für Kids in Chicago und macht selbst Musik. Ihr Debütmixtape "Heavn" war eine der großen R&B-Entdeckungen des Jahres 2016. Nun hat Jamila Woods Teile der Platte neu aufgenommen. Heute Abend könnt Ihr sie im Interview bei ByteFM hören. ...


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