Jamila Woods – „Legacy! Legacy!“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Legacy! Legacy!“ von Jamila Woods

Jamila Woods – „Legacy! Legacy!“ (Jagjaguwar)

In den in Chicago gelegenen Johnson Publishing Archives befindet sich eine der weltweit größten Sammlungen von Büchern afroamerikanischer AutorInnen. Genau hier hat Jamila Woods das Musikvideo zu ihrem Song „Zora“ gedreht. Die ebenfalls aus Chicago stammende Soul-Künstlerin schreitet mit der Aura einer Eroberin in die Bibliothek, doch ihre Mission ist eine ganz andere. Wenn sie zu singen beginnt, umgeben von all diesen Worten und deren Geschichte, geschieht das mit Respekt und Hochachtung. Sie ist keine Eroberin, sie ist eine Hüterin.

Wie der Titel ihres zweiten Studioalbums gleich zweimal lautstark ankündigt, setzt sich Woods auf „Legacy! Legacy!“ mit der Frage des Vermächtnisses auseinander. Welches Erbe hinterlässt man, wenn man von dieser Welt geht? Bevor die 29-Jährige sich das eigene Vermächtnis anschaut, befasst sie sich mit ihren Ikonen: Jeder der 13 Songs dieses Albums ist afroamerikanischen KünstlerInnen, AutorInnen und AktivistInnen gewidmet, die Woods in ihrem Leben beeinflusst haben. Jazz-Trompeter „Miles“ Davis. Sängerin „Eartha“ Kitt. Die einflussreiche Autorin „Zora“ Neale Hurston. Autor James „Baldwin“, dessen Theaterstück „If Beale Street Could Talk“ erst kürzlich im Kino zu sehen war.

Was ist Dein Vermächtnis?

Manchmal fließt die Kunst ihrer HeldInnen direkt in ihre Musik ein. In „Giovanni“ verwandelt sie eine Zeile aus Nikki Giovannis Gedicht „Ego Tripping (There Must Be A Reason Why)“ in ein hoffnungsvolles Boombap-Mantra. Eartha Kitt lachte einst in einem bekannten Interview über die Frage, ob sie bereit wäre, für einen Mann Kompromisse einzugehen. Dementsprechend singt Woods in „Eartha“: „I don’t wanna compromise / Can we make it through the night? / I’m trying to see eye to eye / But you look right over me“. Kitts Lachen scheint ihr die Stärke zu geben, einer dysfunktionalen Beziehung zu entfliehen.

Anderswo sind sind die Einflüsse subtiler. „Miles“ kommt ohne Trompeten-Solo aus, stattdessen groovt Woods‘ Sprechgesang über einen knochentrockenen Jazz-Funk-Beat, der auch aus den „Bitches-Brew“-Sessions stammen könnte. „Sun Ra“ hat musikalisch nicht viel mit der titelgebenden Space-Jazz-Ikone zu tun, stattdessen übersetzt Woods seine afrofuturistische Botschaft in die Gegenwart: „I just gotta get away from this earth, man / this marble was doomed from the start.“

Und was ist mit Woods‘ eigenem Erbe? Das findet sich in den Zwischenräumen dieses Albums. In ihrer butterweichen Stimme. In ihrem bodenlosen Charisma. Und besonders ihrem lyrischen Talent. Woods vollbringt auf „Legacy! Legacy!“ das Kunststück, ein dichtes Netz aus Referenzen aus der Vergangenheit zu spinnen – und dabei klar die eigene Stimme durchscheinen zu lassen. Sie konserviert nicht nur die Vergangenheit, sie hütet sie, pflegt sie – und verwandelt sie in neue, aufregende Kunst.

Veröffentlichung: 10. Mai 2019
Label: Jagjaguwar

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