Neue Platten: Ólafur Arnalds – „Living Room Songs“

(Erased Tapes)(Erased Tapes)

7,8

Der Wahnsinn hat sich ein Piano gekauft. Er spielt darauf mit geschlossenen Augen und ohne Noten und erschafft binnen sieben Tagen sieben klassische Werke. Ja, Werke! Keine Stücke, keine Lieder, keine Songs und keine Tonabfolgen. Schlicht und einfach Werke. Doch schaut der Wahnsinn in den Spiegel, dann sieht er nicht sich selbst. Er sieht ein Menschlein, das er in einem schwachen Moment gemeinsam mit dem Größenwahn geschaffen hat.

Die Personifizierung des (Größen-)Wahnsinns heißt Ólafur Arnalds und ist unfassbare 25 Jahre jung. Der Isländer ist seit mehr als fünf Jahren erfolgreich in den Kreisen der Klassik unterwegs und musste schon des Öfteren dem ein oder anderen Greis den jugendlichen Leichtsinn lehren. Mit seiner nunmehr sechsten Veröffentlichung „Living Room Songs“ zeigt er erneut, dass auch Musiker der Klassik nicht alt, grau oder gar tot sein müssen, um Erfolg zu haben.

„Living Room Songs“ ist nicht unbedingt ein typisches Ólafur-Arnalds-Album. Der klassische Komponist ist bekannt für die gelungene Kombination klassischer und moderner Elemente. Da treffen normalerweise Streicher auf Synthies und das Piano auf den Indie-Sound. Doch diese Veröffentlichung ist anders. Sie fällt auf durch den schlichten Kompositionsstil und den Verzicht auf große Ensembles. Arnalds ist diesmal eher in der kleineren Ecke anzufinden, bemüht meist nur das Piano und eine Auswahl von Streichern. Auf den Kontrabass wird immer verzichtet, das Cello findet selten Einsatz. Nur einmal, da darf auch die Elektronik ran. Der Komponist überzeugt durch Einfachheit und schlichte Arrangements.

Und doch ist die Einfachheit nur das Spielzeug eines (Größen-)Wahnsinnigen. Allein die Entstehungsgeschichte der Werke ist beeindruckend. Innerhalb einer Woche hat Ólafur Arnalds sieben Werke komponiert und in Videoform online gestellt. An jedem Tag eines. Und obwohl nur so wenig Zeit blieb, wirken die Werke ausgereift, wohl überlegt und in sich stimmig. Der Einsatz der einzelnen Instrumentengruppen stimmt, Melodien werden im Dialog erzählt und es entsteht der Eindruck eines gut funktionierenden Albums.

Doch Arnalds wäre nicht die physische Gestalt des Wahnsinns, wäre dies schon alles. Wer die Website des Musikers bemüht und die Videos zu den Werken anschaut, der begreift erst in diesem Moment, dass „Living Room Songs“ eigentlich kein rein auditives Vergnügen ist. Hier kann man Musik in der Entstehung erleben, Musikern bei der Einswerdung mit ihrem Instrument zuschauen und einfach selbst Teil eines wunderbaren Prozesses werden: der Verschmelzung von Mensch und Ton. Da kann selbst der Wahnsinn nur noch ehrfürchtig den Hut ziehen. Was hat er da nur geschaffen?!

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