Saeko Killy – „Dream In Dream“ (Bureau B)
8,2
„Die ändern sich, wenn Du Dich änderst“, sprechsingt Saeko Killy auf „Jede Farbe“ im Zentrum ihrer zweiten LP „Dream In Dream“. Wie sich Farben und Formen manifestieren, so klar sie auch definiert sein mögen, hängt also auch vom individuellen Zustand ab. Besonders gilt das natürlich in den zuweilen bizarren Regelwerken, denen Träume gehorchen. Da die japanische Elektropop-Künstlerin Saeko Okuchi uns sogar in einen Traum im Traum mitnimmt, tun wir vielleicht gut daran, uns der unwirklichen Umgebung erst einmal hinzugeben. Gerne am Anfang des Albums, der auch in sich selbst und mit einem anderen Anfang verschachtelt ist. Im Opener erwartet uns eine seltsame Bestie, der titelgebende „Kaiju“. So bezeichnete man in Japan zunächst Seemonster, später Godzilla und Artverwandte. Knapp eine Minute lang können wir uns in der Traumwelt umsehen, bis Killy die Ankunft der Kreatur verkündet.
In dieser Minute schleicht ein Beat langsam und latent bedrohlich voran, umschmeichelt von warmen Synth-Flächen. Die Synths zwitschern zusehends unwirklicher, angemessen für einen Traum eben. Aber statt psychedelisch und ziellos zu mäandern, kleiden die Sounds die Traumebene erzählerisch funktional atmosphärisch aus. Den Groove des Synth-Basses greift das zweite Stück „Next Time“ in ähnlicher Form auf. Dennoch sind beide Stücke grundverschieden. Hier klackert die Drum-Machine in paranoiagetriebenem Tempo, befeuert von perkussiven Melodien aus verstimmten Oszillatoren. Aber zugleich auch beschwichtigt durch den Balsam aus anderen Synths. Schließlich sollen wir vorzeitig nicht den Traum verlassen, indem wir schreiend aufwachen. Jedoch verschnürt Saeko Killy im Bass-Groove nicht nur den ersten Akt des Albums. Sie nimmt auch einen Faden von ganz früher wieder auf.
Meisterliche Rückkehr an den Anfang
Erstmals begegnet uns eine Variante der synkopierten Figur in „嘘みたいな世界で踊れ (Dancing Pikapika)“, dem Titelstück von Killys Debüt-EP von 2021. Drei Jahre zuvor war Okuchi gerade von Japan nach Berlin gezogen und hatte erst dort begonnen, selbst Musik zu machen. Zwar spielt sie schon seit ihrer Kindheit Klavier, aber ihre Liebe zu abseitiger elektronischer Tanzmusik steckte sie zunächst in ihre DJ-Karriere. Da ihr EP-Debüt den belgischen Producer SoFa Elsewhere beeindruckte, begannen die beiden, enger zusammenzuarbeiten. Durch die Kooperation schaffte es Okuchi aus der Pandemiedepression und hielt am Ende ihr von SoFa Elsewhere produziertes Debütalbum „Morphing Polaroids“ in den Händen. Für den Nachfolger behielt sie nun volle kreative Kontrolle. Insofern ist die Verbindung zu „Dancing Pikapika“ bedeutsam. Erklangen dort Klacker-Beat und Synkopenbass mit charmantem DIY-Minimalismus, trägt das auch nicht opulentere Arrangement von „Next Time“ die Handschrift einer Meisterin, deren Minimalismus keine Notwendigkeit, sondern eine Entscheidung ist.
Minimalismus, Konsistenz und Variation
Eine Entscheidung, die auch damit zusammenhängt, dass sie sich als Teil der Berliner Szene etabliert hat. „Vor Menschen zu spielen und aufzutreten, war sehr inspirierend für mich“, sagt die Musikerin. „Es veranlasste mich, Songs mit einfacheren Strukturen zu schreiben!“ Ihre besondere Gabe besteht dabei darin, bei konsistenter Stimmung mit wenigen Mitteln zwischen Genres hin und her zu springen, ohne dass es irritiert oder überhaupt auffällt. So hört man aus „Next Time“ auch die DJ-Routine und „Melancholic“ könnte ein 1980er Synth-Punk-Brecher sein, wenn sich Punks 1980 besser mit Synths ausgekannt hätten. Im sehnsüchtigen Closer „Stay“ wiederum sucht Saeko Killy nach der nicht immer sichtbaren Liebe und findet emotionale Wärme zwischen Hall-Fahnen und Dub-Echos.
Dass das zweifelsohne tolle Song „Stay“ nach dem relativ eindeutigen Hit der LP, dem Titeltrack, der 80er-Compass-Point-Aufnahmen (Grace Jones, Tom Tom Club) in die Gegenwart holt, zur zweiten Single wurde, ist jedoch überraschend. So haben „Next Time“, „Melancholic“ und „Kotoba no Kozui“ neben klassischeren Single-Tempi auch die zwingenderen Hooks. Doch da nun die ganze LP vorliegt, ist das herzlich egal. Denn „Dream In Dream“ ist nicht nur durchweg hörenswert; es lohnt sich auch, die gesamte Reise mitzumachen. Die hat nämlich alles, was ein gescheiter Schachteltraum braucht: Orientierungslosigkeit und Erdung, Angstschweiß und Herzenswärme. Dem Label Bureau B verdanken wir zudem, dass wir das Album in seiner vollen Schönheit hören können. Dort wird das Endprodukt nämlich nicht wie bei den allermeisten Labels beim Mastering an die Wand gefahren, um lauter zu erscheinen. Und klingt dadurch einfach lebendiger und besser.
Veröffentlichung: 14. März 2025
Label: Bureau B