Einmal Krems Brûlée – Das Donaufestival 2013

Von soerennikolaus, 15. Mai 2013

Donaufestival 2013

Schaut man sich das Lineup des diesjährigen Donaufestivals an, so fragt man sich schon, wie es kommt, dass mal eben ein beachtlicher Teil der popkulturellen Avantgarde, insbesondere der elektronischen, in der niederösterreichischen Provinz vorbei schaut. Nein, es ist nicht so, dass die Wachau sonst nichts zu bieten hätte. Eines der schönsten Flusstäler Europas sagt man, seit dem Jahr 2000 Teil des berühmten Weltkulturerbes der UNESCO. Weine – vor allem weiße – die sich seit Jahren mit der absoluten Weltspitze messen können. Die Wachau ist ohne jeden Zweifel ein Touristenmagnet. Besucher, wie sie an diesen zwei Frühlingswochenenden die Stadt Krems beehren, sind dann aber doch die Ausnahme. In typisch österreichischer Manier begegnet man diesen dann aber doch sehr unaufgeregt. Die Zeiten, in denen das Festival gerade wegen seiner öffentlicher Unterstützung mit Argwohn betrachtet wurde, scheinen aufgrund des im Kontext der Konzert- und Festivalkultur zwar geradezu zeitlupenhaft wirkenden und doch steten Erfolgs, entfernter denn je. Letztendlich ist es mehr als bemerkenswert, mit welcher Beharrlichkeit und Ruhe hier seit dem Ausfallschritt in Richtung Popkultur im Jahr 2005 kontinuierlich gearbeitet werden kann. Um die eingehende Frage zu beantworten: Die gute Arbeit zahlt sich aus. Man hat sich einen Namen gemacht in der Szene.

Auf der Suche nach Relevanz und inhaltlichen Reibungspunkten wollte der neue künstlerische Leiter Tomas Zierhofer-Kin „nicht mehr die Institutionen und Werte der bürgerlichen Gesellschaft“ vertreten, „sondern jene der Massengesellschaft und ihrer Kultur des Pop.“ In dieser Linie steht das Festival noch immer. So wurden, wie es in der Ankündigung heißt, in diesem Jahr „die Schnittstellen zwischen Experiment und Subkultur, zwischen Klangkunst und Clubkultur ausgelotet.“ Das kann man im 9. Jahr nach der Neuausrichtung sagen: Programmatisch hat sich das Donaufestival neben Unsound (Krakau) als eines der ambitionierten Festivals in Europas popmusikalischer Sphäre etabliert, eine dicke und warme Empfehlung der Pitchfork-Redaktion im Rahmen ihres wunderschönen Sommerfestival-Guides inklusive.

Vielleicht liegt es an der mittlerweile langjährigen Erfahrung, vielleicht an dem Fokussierungseifer der beteiligten Künstler, es gelingt den Veranstaltern jedenfalls beachtlich einen Fluss zu erzeugen. In der Folge wird so etwas wie eine gesamtgestaltliche Wirkung erzielt. Das Ganze ist eben oft mehr als die Summe seiner Einzelteile. Bemerkenswert und vermutlich ebenso Teil des Konzeptes ist hier, dass das alles in einem losgelösten, minimalistischen und geradezu zweckmäßigen Rahmen geschieht. Sozusagen als Antithese zu immer ausladenderen Konzepten anderer Veranstaltungen wird hier nicht der Versuch gestartet, eine Parallelwelt um ihrer selbst wegen zu inszenieren. In Krems ist man dem Inhalt verpflichtet. Selbst die Minoritenkirche, ein zu einem Kulturzentrum umgestalteter frühgotischer Sakralbau im Kremser Vorort Stein, versprüht – bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts säkularisiert – eher den Charme moderner Reduktion als geistlicher Wärme. Vorstellbar ist die Wirkung des Ganzen vielleicht wie ein Vakuum, das einen Sog in Richtung Künstler entwickelt. So wird diesem und damit natürlich auch der Kunst – wobei das ja eigentlich nie zu trennen ist – eine besondere Form der Aufmerksamkeit zu Teil. Gestört wird diese Zentrierung eigentlich nur von der ebenfalls prominent platzierten Gastronomie. Aber wer kann und will sich ein Abdrängen dieser an die Peripherie des Geschehens schon leisten?

Das Festival begann mit Rauschen. Peter Weibel eröffnete den ersten Festivaltag und versuchte in der Minoritenkirche zu Stein das Rauschen nicht nur hör- sondern auch sicht- und fühlbar zu machen. Mit Hilfe von 3D-Brillen konnte das Publikum Weibels Dekonstruktion und Rekonstruktion des Rauschens plastisch erleben. „The Origin of Noise – The Noise of Origin“ machte sich auf die Suche nach dem Ursprung und fand das Rauschen, den „Hammer Gottes“. Weit weniger martialisch und weit weniger zurück blickend gibt sich Geoff Barrow mit seinem Kraut-Rock-Projekt Beak>. Das erste Mal sollte sich die Begeisterung der jüngeren Seite des Publikums offen zeigen. Barrow und Co. öffneten mit ihrer psychedelisch-mechanischen Energie den Abend. Man kann es durchaus als Coup sehen, dass Michael Rother (Gründungsmitglied von Kraftwerk, Neu!), der zusammen mit der Berliner Neo-Krautrock-Band Camera ein großartiges Konzert spielte, noch an diesem Abend auf Beak> folgte. Außerdem erwähnenswert: die Brooklyner Zs, die mit einem ungewöhnlich geradlinigen Set zwischen Noise und Jazz aufwarteten, das zur Abwechslung mal die Beine des Publikums elektrisierte, sowie der Skweee-Club, in dessen Rahmen das Label Laton in einem Showcase eine der aktuellsten Strömungen der Clubmusik vorstellte. Dass dieses extrem funkige „Ausquetschen“ von Vintage-Hardware aufregend ist, zeigt schon, dass Mike Paradinas’ Label Planet Mu bei dieser ursprünglich skandinavischen Spielart mittlerweile die Finger im Spiel hat.

Bereits am zweiten Tag war eine klare Entwicklung im Programm zu erkennen. Stand der Donnerstag noch ganz im Zeichen der Rückbesinnung, herrschte ab Freitag eine Art Gegenwartsdiskurs vor. Das Programm war nun insgesamt deutlich elektronischer und düsterer. Der Tag startete allerdings noch mit Blick in den Rückspiegel. Halls nennt der Londoner Samuel Howard sein Projekt. Ob er dabei den pastoralen Geruch im Kopf hatte, den sein in schwere romanische Mauern aus Elektronik gehüllter Post-Punk versprüht? Orgelpfeifen und Hall waren in der erwähnten Minoritenkirche vermutlich schon über die vergangenen Jahrhunderte sehr präsent. Weit weniger zurückgenommen gingen es danach die Parenthetical Girls an. Wer die Portlander schon einmal Live erleben durfte, weiß um die darstellerischen Qualitäten des affektierten Frontmanns Zac Pennington. Einen der ausufernden Publikumsbesuche, ermöglicht durch zweifach verlängertes Mikrofonkabel, nahm dieser dann zum Anlass, um schlussendlich durch den Hinterausgang zu verschwinden. Der restliche Freitag wartete mit einigen Überraschungen auf. Zunächst Actress, der live leider zu sehr auf dröhnende 4/4-Ästhetik zurückgriff und damit jene tolle Dynamik und streckenweise auch Fragilität einbüßte, die seine Alben auszeichnen. Laurel Halo, die eben jene 4/4-Ästhetik fortführte und sich damit weit näher am Sound ihrer EPs bewegte. Ein luftig-pulsierendes Feuerwerk, das als Steilvorlage zum Tanzen gelten konnte und gerne angenommen wurde. Und Andy Stott, der sich ebenfalls weg bewegte, vom düsteren Dub-Techno seiner Studioarbeiten, hin zu tanzbareren und gebrocheneren Strukturen. Das alles wurde gerne angenommen. Es gab viel drone-beeinflusstes zu hören und irgendwie freuten sich dann doch alle, beim stark dancefloor-orientierten Set von Simian Mobile Discos’ Jas Shaw loslassen und so richtig die Sau raus lassen zu können. Außerdem erwähnenswert: Die Tri-Angle-Label-Night, bei der eines der interessantesten Labels der letzten Jahre sowohl Neues (Wife, Evian Christ) als auch Etablierteres (oOoOO, The Haxan Cloak) aus ihrem Portfolio präsentierte.

Am letzten Tag folgte der Blick in die Zukunft. Die konventionellen Strukturen wurden mehr und mehr aufgegeben. Selbst Zs setzten noch einen drauf und ließen ihr Werk Score in einem interaktiven Workshop live remixen. Der Tag auf der Bühne begann mit dem PAN-Label-Afternoon in der Minoritenkirche. Hier stellte der Wahl-Berliner Bill Kouligas sein kleines Label vor, das sich mittlerweile durchaus so etwas wie einen Kultstatus erarbeitet hat. Und auch wenn das Publikum am dritten Tag sichtlich erschöpft im Sitzen genießt, ist Zustimmung zu spüren. Mit Wohlwollen werden Pioniere wie SND empfangen, auch wenn sie es dem Publikum nicht immer leicht machen. Exemplarisch für die vielen anderen großartigen Performances seien hier zwei komplett gegensätzliche erwähnt. Bella Angora aus Wien ließ über mehrere Stunden in einem abgetrennten Raum einen kitschigen Popsong nach dem anderen zerbrechen, während der Zuschauer zum Voyeur gemacht wurde und das Schauspiel nur durch verschiedengroße Verkleinerungslinsen von der anderen Seite der trennenden Wand aus, verfolgen konnte. Kasper T. Toeplitz, norwegischer Komponist zwischen Drone und Ambient, entwickelte zusammen mit dem französischen Tänzer Jonathan Schatz einen reduzierten Akt, in dem Schatz einen elegischen Kampf abliefert. Voller Anspannung gegen das oder mit dem Sound-Gewitter, bis die Grenzen verschwimmen und nicht mehr klar ist, ob sich Toeplitz von Schatz krampfhaften Bewegungen inspirieren lässt oder Schatz von Toeplitz krampfhafter Musik. Nach dem letztjährigen Auftritt von Laurie Anderson war das Booking von Holly Herndon nur konsequent. Ihre sprachloopbasierten, zerfetzten Songs gewannen vor allem – manchmal ist es so einfach – durch die bloße Präsenz der Künstlerin. Pete Swanson nahm danach alles was er kriegen konnte und feuerte es in einer 4/4-Noise-Welle Richtung Publikum. Den Abschluss lieferten Emptyset in einem famosen Gig, in dem sie das kaputt machten, was noch irgendwo übrig geblieben war.

Und am Ende ist wie am Anfang: Rauschen.

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