Neue Platten: DJ Marcelle/Another Nice Mess – "Meets Further Soulmates At Faust Studio Deejay Laboratory"

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8,4

John Peel im Radio zu hören, war die reinste Wonne. Jede Sendung eine Offenbarung, eine Expedition, in der es nur wenige Ecken gab, die einem vertraut waren. Viel spannender und lohnender waren ohnehin die vielen unbekannten Pfade, auf die er einen führte. Da folgte jamaikanischer Ska auf Grindcore, afrikanische Musik auf Electronica – und das lange, bevor irgendjemand sonst das miteinander überhaupt zu denken wagte. Damals mochte man den einen eigenen Stil und all die anderen eben nicht. Es war die Zeit, in der das Plattenkaufen noch mit großem Aufwand verbunden war und in der es noch eine Kategorie wie „Peinlichstes Lieblingsstück“ gab. Heute, mehr als acht Jahre nach John Peels plötzlichem Tod, ist jedes Musikstück nur einen Klick entfernt und es gibt etliche Radiostationen, die sich seinem Eklektizismus verschrieben haben (darunter ByteFM – man muss nur mal Klaus Walter fragen). Peel spielt in der Musiksozialisation vieler Menschen eine, wenn nicht die entscheidende Rolle. Er schaffte es, dass man sich plötzlich für Musik interessierte, die einem bis dahin fremd war.

Jemand, der diese Herangehensweise im besten Sinne weiter pflegt, ist DJ Marcelle aus Amsterdam. Sie gehört zu der Sorte Trüffelschweine, die sich auf Flohmärkten in allen Ländern herumtreibt und nach obskuren Platten gräbt (Vinyl only, damit das mal klar ist). Ihre Funde präsentiert sie in ihren Radiosendungen, die bei mehreren Stationen zu hören sind, zwischen vielen, vielen Neuveröffentlichungen und stellt sie wortreich in einen historischen Kontext. Abgesehen von kleineren technischen Aussetzern, die sie genauso pflegt wie John Peel, der Platten auch gerne mal im falschen Tempo anspielte, geht es dabei einigermaßen gesittet zu. Ganz anders läuft die Sache ab, wenn DJ Marcelle an den Plattenspielern in einem Club steht. Dann ist die Musikgeschichte perdu, dann wird passend gemacht, was nicht zusammengehören will. Alles kreuz und quer, übereinander, hintereinander, ineinander. Hauptsache es tanzt. Da wird der notorische Dancefloor-Muffel zum Bewegungstier. Eine herrlich wilde Mischung, die auf Eleganz pfeift und die man erlebt haben muss, denn mit Worten wird man ihr nicht gerecht.

DJ Marcelles Platten, die Faust-Urgestein Hans Joachim Irmler auf seinem Klangbad-Label veröffentlicht, bewegen sich zwischen ihren Radiosendungen und ihren Club-Abenden, mit einer deutlichen Schlagseite zum Tanzbaren. Auch „Meets Further Soulmates At Faust Studio Deejay Laboratory“, das dritte Doppel-Album, das im Faust-Studio in Scheer im April 2012 entstand, wurde an drei Plattenspielern gleichzeitig aufgenommen, ohne Overdubs oder digitale Nachbearbeitungen. Auf den vier Seiten – unterteilt in „The Entertaining Mix“, „The Contemplative Mix“, „The Optimistic Mix“ und „The Refreshing Mix“ – sind Hörspielgeräusche zu hören sowie Clicks & Cuts von Mille Plateaux, Buckelwal-Gesänge und Dubstep, Glocken der DDR und Roots, Field Recordings von 1960 (veröffentlicht auf dem wunderbaren Label Mississippi Records) und Gitarrenmusik aus der westlichen Sahelzone. Die Welt als Musik: großartig, schillernd und bunt, laut, lärmend und zuweilen nervtötend. Aber, hey, das war John Peel auch so manches Mal. (Und, ja, man darf DJ Marcelles Mix auch politisch verstehen, aber das ist eine andere und vor allem längere Geschichte.)

Label: Klangbad | Kaufen

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