Tori Amos im Interview

Pressebild der Singer-Songwriterin Tori Amos

Tori Amos (Foto: Victor de Mello / Deutsche Grammophon)

Ihr aktuelles Album „Night Of Hunters“ begreift Tori Amos als Liederzyklus im Schubertschen Sinne. Mit keltischer Mythologie erzählt sie darin vom tragischen Ende einer Liebesbeziehung. Als Vorlage eigener Kompositionen dienen ihr bekannte Themen aus der Klassik – von Chopin, Mussorgsky bis zu Debussy. Wie nähert sich eine Musikerin, die über Jahrzehnte mit einer Band gespielt hat, der Klassik?

„An erster Stelle steht bei mir das Gehör. Meine Mutter sagt, dass ich, als ich mit zweieinhalb Jahren anfing Klavier zu spielen, nur nach Gehör gespielt habe. Und manchmal verlasse ich mich etwas zu sehr auf meine Ohren. Für dieses Projekt besorgte ich mir deshalb das Notenmaterial und hörte mir Aufnahmen der Stücke an, um die Themen umformen zu können. Wenn dann diese Schubert-Melodie in jeder Zelle Deines Körpers, in jedem Atemzug steckt, dann weißt Du, dass Du das richtige Stück gefunden hast. Es ist dann Teil Deiner Geschichte. Und so wurde mir auch klar, mit welchen Komponisten ich arbeiten würde. Mein Mann sagte: Solange sie in Wirklichkeit tot sind, ist mir egal, was Du mit ihnen machst.“

Werden Popmusiker*innen nicht häufig dafür belächelt, wenn sie sich mit klassischer Musik beschäftigen? Warum bist Du dieses Risiko eingegangen?
„Variationen eines Themas haben in der Klassik eine lange Tradition. Wir befinden uns jetzt im 21. Jahrhundert, und die Art der Umsetzung, die Verwendung von Poesie, soll diesem Umstand Rechnung tragen. Mir gefiel die Idee, Wörter zu verwenden, die schon beinahe eine musikalische Qualität in sich tragen, also solche, die sich mythologisch deuten lassen. Ich habe also den Club der toten Dichter und den der toten Komponisten zusammengebracht. Mir war klar, dass es sich um ein schwieriges Unterfangen handelte, doch ebenso dachte ich, dass sich eine schöne Verflechtung der weiblichen Perspektive mit der männlichen ergeben könnte. Die toten Männer waren der Samen, und somit musste das Ei – also ich – sie penetrieren. Diese Umkehrung der Geschlechterrollen fand ich sehr spannend. Und mit der Deutschen Grammophon im Hintergrund dachte ich mir: Wie könnte ich ablehnen? Ich muss einfach nur sehr, sehr hart arbeiten.“

Das hast Du. Dein Klavierspiel ist sehr präzise auf diesem Album.
„Das sehe ich auch so und ich hoffe, man kann es hören, denn es handelte sich dabei um eine bewusste Entscheidung. Es fühlte sich für mich nicht einfach nach einer neuen Tori-CD an, sondern nach einer Kollaboration mit anderen Komponisten. Und obwohl diese Komponisten physisch nicht anwesend waren, waren sie trotzdem sehr präsent und haben einiges von mir abverlangt. Um ihren musikalischen Themen Tribut zollen zu können, musste ich jeden Tag am Klavier üben, anders als in den letzten 20 oder 30 Jahren, eher wie zu meiner Zeit am Peabody Konservatorium.“

Im Kindergartenalter von fünf Jahren wurdest Du zur Musikhochschule, zum Peabody Konservatorium zugelassen, mit elf allerdings wieder rausgeschmissen, weil Du Dich mehr für Jimmy Page als für Johann Sebastian Bach begeistern konntest. Habt Ihr Euch denn mit diesem Album ausgesöhnt?
„Interessant, dass Du danach fragst. Und in der Tat gibt es einen neuen Dekan dort, der mir über meinen Vater eine Nachricht zukommen ließ. Er schreibt darin, dass sie heutzutage anders an Musik herangingen als in den Sechzigern. Und um ehrlich zu sein, das hatten sie auch bitter nötig, denn zu meiner Zeit hatten sie sich gegenüber aktueller Musik komplett verschlossen. Sie begriffen einfach nicht, dass diese Abschottung der Kreativität abträglich ist. Der Dekan will nun eins meiner Konzerte besuchen und ich freue mich darauf, ihn zu treffen.“

Deine Tochter, die auch auf dem neuen Album zu hören ist, ist jetzt so alt wie Du zu Deinem Rausschmiss.
„Als ich elf war, waren viele Leute enttäuscht von mir. Wenn Du Dein Stipendium verlierst und deine Familie kein Geld hat, dann hast Du das Ende des Weges erreicht. Damals verstand ich noch nicht, dass sich eine andere Tür öffnen würde. Ich musste dort weg, um zu wachsen. Im Grunde haben sie mir also einen Gefallen getan. Natashya hat mit ihren elf Jahren zumindest auf lokaler Ebene geschauspielert und gesungen, ohne den Hintergrund, mit fünf Jahren schon ein prestigeträchtiges Konservatorium besucht zu haben. Doch jetzt wird sie auf einer sehr gefragten Schule für Performing Arts ausgebildet. Im Gegensatz dazu war ich mit 13 längst ein Profi. Wir haben unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen und ich glaube, das ist auch ganz gut so, um nicht miteinander in Konkurrenz zu treten. Sie liebt zum Beispiel den Blues. In ihrem britischen Akzent sagte sie zu mir: ‚Mommy, als ich mit neun den Blues entdeckt habe, habe ich die Welt mit neuen Augen gesehen.‘ Und ich dachte mir: Good for you, girl.“

Für Dich war’s damals Led Zeppelin.
„Led Zeppelin hat für mich Welt verändert, das stimmt.“

Wie hat es sich mit der Mutter-Tochter-Beziehung im Studio verhalten?
„Als ich mit ihr dieses Album aufnahm, habe ich mit ihr als Produzentin gearbeitet. Die Mutter in mir war da eher skeptisch. Schließlich wusste ich, dass die Presse ihr Augenmerk auf sie richten würde. Meine Nichte, die auch auf dem Album singt, ist 19 Jahre alt, lebt in New York und studiert. Sie befindet sich an einem ganz anderen Punkt ihres Lebens. Doch Tash ließ nicht locker. Also musste ich die Mutter vor die Tür schicken, um der Tochter den Weg frei zu machen. Als Produzentin bin ich teuflisch, aber fair. Das werden Dir die Musiker*innen, mit denen ich in den letzten 20 Jahren zusammengearbeitet habe, gerne bescheinigen: liebevoll, aber tough. Also sagte ich zu Tash: ‚Wenn Du mit mir arbeiten willst, dann wirst Du es mit mir als Produzentin zu tun haben.‘ Und sie sagte: ‚Okay, Tori Amos!‘ Und wir hatten eine tolle Zeit.

Auf der Bühne werden weder Tochter noch Nichte dabei sein, dafür ein Streichquartett, mit dem Du Deinen Liederzyklus allerdings nicht von vorn bis hinten durchexerzieren wirst.
„Spielte ich jeden Abend dasselbe, würde ich mir die Möglichkeit nehmen, auf meine Umgebung reagieren zu können. Ich entscheide erst etwa eine Stunde vor Konzertbeginn, was ich spielen werde. Dann hatte ich die Gelegenheit, mich mit Leuten zu treffen, einen Soundcheck zu machen und die Stadt in mir aufzunehmen. Bei einer Performance geht es darum, die Energien der Konzertbesucher*innen zu kanalisieren; sie greifbar zu machen und sie zu kontextualisieren.“

Das fordert viel von Dir.
„Das fordert viel von mir, gleichzeitig gibt es aber auch mehr zurück als es nimmt. Wenn Du die Bühne betrittst und glaubst, alles allein zu machen, dann machst Du Dir etwas vor. Und die Musen werden Dir nicht dienen und die toten Komponisten – die drehen Dir ganz schnell den Rücken zu. Strawinsky hat mal von einer Kraft berichtet, die zuzulassen es bedeutet, bescheiden zu sein und gleichermaßen zu wissen, ein Ziel erreichen zu können. Du musst kapieren, dass Du nur ein Co-Creator dieser Kraft bist. Ich kann Dir nicht sagen, was diese Kraft ist. Ich nenne sie nicht Gott, da die religiösen Implikationen der Musik nicht Genüge tun. Ich glaube, jeder Künstler ist Teil eines kreativen Kollektivs. Wenn also Leute zu meinen Konzerten kommen, hoffe ich, dass sie wissen, Teil einer Konversation zu sein. Und wenn sie mit dem Gefühl, etwas mitgenommen zu haben, aus dem Konzert gehen, dann haben sie ihr Stück dazu beigetragen, das Gleiche gilt, wenn sie glauben, das Konzert hätte nichts getaugt. Meine Konzerte funktionieren nur mit dieser Abhängigkeit.“

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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