Desire – „Games People Play“ (Italians Do It Better)
8,1
Mit kühlen Synths im gedrosselten Tempo lockt uns „Games People Play“ von Desire auf die dunkle Seite. Dorthin zieht es die Protagonistin des Openers „Darkside“, und uns zieht sie gleich mit ins neonbeleuchtete Dystopia der Hinterhöfe unseres Unbewussten. Vor fast auf den Tag genau einem Jahr kündigte das kanadisch-US-amerikanische Duo mit dem Stück sein drittes Album an. Eigentlich hatte es noch 2024 erscheinen sollen, verschob sich aber immer wieder und die Trackliste wuchs währenddessen ständig an. Selbst die Trackliste, die sechs Wochen vor Veröffentlichung an die Presse ging, war noch nicht final. Kurz vor Schluss kamen noch drei Stücke hinzu, die teilweise nur Interlude-Charakter haben, aber entscheidend zum Mehrwert des Hörgenusses im Albumformat beitragen. Was Sängerin Megan Louise und Produzent Johnny Jewel nun teilen, beschreiben sie als „Konzept-Doppelalbum mit zwei Platten in einer. Halb Dancefloor-Pop und halb Film Noir. 21 Songs, aufgenommen in der Tonart der Liebe.“
Letztlich entspricht dieser Überbau ungefähr dem Gesamtkonzept von Jewels Label Italians Do It Better, dessen Acts (Chromatics oder Joon etwa) er am liebsten selbst produziert. Jewels Welt ist eine kaputte, aber glamourös, ungesund, aber gerade dadurch auch anziehend. Oft hat die Musik etwas Soundtrackhaftes, und „Games People Play“ als Ganzes erscheint wie ein Cyber-Noir-Film. Im Stil eines 80er-Jahre-Kino-Trailers beschreibt die Band ihr Album folgendermaßen: „Auf dem Boulevard der zerschmetterten Träume … riskiert sie es, die Würfel noch einmal zu werfen.“ Wer „sie“ ist, ist nicht ganz klar. Vermutlich ist es „Desire“, die Kunstfigur, die Megan Louise bekleidet und letztlich das Verlangen selbst verkörpert. Das eröffnende „Darkside“ „versinnbildlicht den freigelegten inneren Raum, den wir selten mit Fremden teilen“, sagt die Band. Damit ist es die perfekte Eröffnung einer Reise durch „ein verborgenes geheimes Reich, das nie zum Vorschein kommt“: „We can turn the lights off / Only on the darkside, baby“.
Verlangen und Selbstbehauptung
Die ausgeknipsten Lichter passen denn auch zur Atmosphäre der LP, soll diese doch einen Film Noir abgeben. Diese umhüllt auch die Dancefloor-Tracks, wie das zweite Stück „Dangerous Drug“ klarmacht: „Love is such a dangerous drug / Why do I crave it? / Why do you break it?“ Das klingt nach toxischer Beziehung, aber hier predigt ja auch kein Lifecoach. Stattdessen berichtet das Verlangen aus der unbewussten Schattenwelt. Genau das ist die Welt des Film Noir, dessen Dunkel die Motive der Charaktere verschleiert und in dessen Nebelschwaden moralische Werte aufweichen. Es ist ein Taumel, bei dem unklar ist, ob das Gegenüber von Liebe oder Mordlust angetrieben wird. Und was noch einmal wann passiert ist. Oder ob überhaupt. Auch in den anschließenden kühl-erhabenen Dancefloor-Hits „Human Nature“ und „Dream Girl“ betrachten wir die Protagonistin scheinbar auf dem umnachteten Irrweg ins Verderben. Doch ein Film Noir kommt nicht ohne Plot-Twist aus. So wendet sich nach dem instrumentalen „Sometimes“ das Blatt.
Nachdem Desire ihr Gegenüber als Blutsauger enttarnt hat, greift sie in „Vampire“ zur silberkugelgeladenen Waffe. Auch in „The Judge“ schwingt sie sich zur rücksichtslosen Gerichtsbarkeitauf. Doch das hat weniger mit Anmaßung zu tun als mit der Lossagung vom Diktat der sozialen Medien, mit denen wir einander ausspionieren. Anschließend führt die Piano-House-Hymne „Drama Queen“ in den Club zur hedonistischen Party, die nur noch in Fragmenten geschildert werden kann. Doch nach diesem Höhenflug und dem unheilvoll betitelten Zwischenspiel „Russian Roulette“ kehren die ungesunden Muster zurück. So fordert „Love Races On“ Bestätigung durch Liebe bis zur Selbstaufgabe ein. Ersatzhalber greift die Protagonistin zu Tabletten; Verwirrung, Fatalismus und Blutdurst folgen. Im Fieberwahn von „Cold As Ice“ wirft Desire die Schicksalswürfel und freut sich darauf, nach der Genesung „eiskalt“ wie ihr Gegenüber zu sein.
Verzweiflung und Selbstverlust
Doch statt Selbstbehauptung zu liefern, bricht sich im letzten Drittel eines Film Noir oft die Desorientierung bahn. Vielleicht bleiben wir auch in den febrilen Synapsen der unzuverlässigen Ich-Erzählerin hängen. Greifbar bleibt jedoch der verbissene Wunsch nach Liebe. Am deutlichsten illustriert diesen das Cover von Taylor Daynes 80er-Smasher „Tell It To My Heart“, das bei Desire nicht mehr leidenschaftlich klingt, sondern verzweifelt. Weiter destabilisiert sich das Ich der Erzählinstanz in „Demons In The Rain“. Deren Identität zerfällt in Zeilen wie „Whispers in the wind / Of people she has been“. Wer spricht hier? Und was ist Identität eigentlich? Natürlich erfahren wir das nicht. Stattdessen nimmt die Irrfahrt ausweglose Züge an: „Time is just a door / She’s been here before“. All dies sind genretypische Fragen und Erzählverfahren eines Film Noir.
Ebenso typisch wie der Selbstverlust ist ein offenes, aber vermutlich unheilvolles Ende. Eigentlich scheint die Geschichte nach „Demons In The Rain“ und dem grollenden, dräuenden Instrumental „Othello“ schon auserzählt. „Love On The Air“ rahmt das Werk als Teil einer Radioshow, das damit endet, dass die Moderatorin „Darkside“ spielt. War etwa alles nur Fiktion? Das wäre beruhigend, doch der Song säuft ab, läuft rückwärts und am Ende rauscht nur noch der Wind. Darin eröffnet „I See Black“ hoffnungsvoller, als der Titel verheißt: „In the night we fight for love“. Aber wenn die Erzählerin schildert, wie sie (wieder einmal) das Haus verlässt und ihr Gegenüber (wieder einmal) kalt am Boden liegt, klingen die hymnisch intonierten Worte nur mehr nach dissoziativer Selbsttäuschung. Auch der Titeltrack gibt keinen Aufschluss darüber, warum sie sich mit Knochenbrüchen zum empathielosen Arzt schleppt. Wurde sie von ihrem Partner misshandelt? Oder hat sie ihn umgebracht. Ob es ihr Partner oder ihr Spiegelbild ist, zu dem sie sagt „Violence in your eyes / Comes as no surprise“: Nichts wird gut. Und die musikalische Ähnlichkeit zu „Darkside“ legt nahe, dass sich nun alles wiederholt.
Veröffentlichung: 21. März 2025
Label: Italians Do It Better