Wunderhorse – „Midas“ (Communion)
7,1
„Cub“, das Debütalbum der britischen Rock-Band Wunderhorse, entstand 2022 vor allem aus der künstlerischen Vision von Leadsänger Jacob Slater, der Wunderhorse während der Pandemie zunächst als Soloprojekt ins Leben rief. Die übrigen Bandmitglieder – Harry Fowler (Gitarre), Jamie Staples (Schlagzeug) und Pete Woodin (Bass) – stießen erst während des Aufnahmeprozesses von „Cub“ dazu. Doch schnell stand fest, dass Wunderhorse ein gemeinsames Projekt ist und vor allem live funktionieren soll. Die darauffolgenden zwei Jahre auf Tour haben dahingehend nicht nur das wachsende Publikum beeindruckt, sondern auch die Band selbst geformt: „Je mehr wir zusammen spielten, desto mehr wurde die Persönlichkeit eines jeden zu einem festen Bestandteil der Musik“, erklärt Slater.
Wunderhorse sind also angekommen und für ihr neues Album „Midas“ nahmen sie ihre neu gefestigte Identität als Live-Band mit ins legendäre Pachyderm Studio in Cannon Falls, Minnesota – dem Aufnahmeort von Nirvanas „In Utero“ und PJ Harveys „Rid Of Me“. An ihrer Seite: der Grammy-ausgezeichnete Produzent Craig Silvey (The Rolling Stones, The National, Florence + The Machine). Auf ihrem zweiten Studioalbum „Midas“ zeigt sich die Band in zehn Songs und 40 Minuten nun intuitiv, ungeschönt und nuanciert. Es sei eine akkurate Repräsentation von dem, was Wunderhorse zur Zeit der Aufnahme gefühlt haben, so Slater. Und so bezeichnet er „Midas“ auch als das eigentliche Debüt der Band.
Instinktiv, unperfekt
Mit voller Wucht, unbändiger Energie und einer Nonchalance à la 90er-Brit-Grunge gibt der zweiminütige Opener und Titeltrack „Midas“ die Richtung des Albums vor. Deutlich wird hier vor allem, dass „Midas“ kein feinpoliertes Studioalbum ist – so war die finale Aufnahme des Titeltracks ursprünglich eigentlich nur als Probetake angedacht. Genau diese rohe, intuitive Energie durchzieht alle zehn Tracks des Albums und gibt Hörer*innen das Gefühl, im Studio mit dabei zu sein. Eine erfrischende Abwechslung in einer Zeit, in der oft alles bis zur „Perfektion“ geglättet wird.
Und genau dieses Ungeschliffene lädt ein, genauer hinzuhören und einzutauchen in die (be)rauschende Soundlandschaft von „Midas“. Was beispielsweise in „Rain“ zunächst mit einem lockeren Strumming beginnt, entpuppt sich schnell als intensives Hörerlebnis mit leicht düsterem Beigeschmack. Die mantraartige Frage „Do you feel the rain?“, die sich wie ein Schauder durch den gesamten Song zieht, kann man am Ende nur noch mit einem klaren „Ja“ beantworten.
Pure Katharsis
Obwohl die Band inzwischen als gefestigte Einheit agiert, entspringen die Texte auf „Midas“ immer noch dem Stift Slaters. Und der wurde vor dem Schreibprozess noch einmal ordentlich angespitzt. Thematisch zeigt Slater keine Scheu, in seinen eigenen emotionalen Unruhen zu wühlen. Freimütig reflektiert er seine hässlichen Seiten und inneren Kämpfe, etwa in den beiden aufeinanderfolgenden Stücken „Superman“ und „July“. Ersteres hat Slater in einem Interview selbst als „das traurigste Lied, das ich je geschrieben habe“ bezeichnet. Der Song entstand in nur zehn Minuten, das hatte wohl schon länger in ihm gebrodelt. Von der Eile, mit der „Superman“ Form fand, hört man jedoch wenig. In der Intonierung wird der Existenzkrise Slaters Platz eingeräumt und der Gitarren-Noise drumherum ein wenig runtergeschraubt. „I wish I could show them the power inside me / I wish I could show them the things I can do / And how I saved the world“, singt Slater überraschend sanft über zwei Akkorde. Ein stiller Schrei nach Anerkennung und Selbstfindung in einer chaotischen Welt – eine existenzielle Hymne eines Missverstandenen.
Doch bevor „Midas“ zu melancholisch wird, befreit „July“ aus der introvertierten Enge von „Superman“. Nicht weniger kathartisch, aber um einige Ecken lauter und in-your-face zeigt „July“ Wunderhorse in ihrer vollsten (und lautesten) Entfaltung. An dieser Stelle des Albums wird abermals deutlich, wie geschickt Wunderhorse zwischen den Extremen pendeln – ruhige, verletzliche Momente wechseln sich ab mit Ausbrüchen roher Energie.
Das Album schließt mit einer Mischung aus beidem. Das fast neunminütige Epos „Aeroplane“ bündelt die kreative Neuausrichtung von Wunderhorse und eignet sich perfekt zum Nachspüren. Ein ungeschliffenes Gitarrensolo von Fowler begleitet Hörer*innen durch die letzten Takte dieses 40-minütigen Ritts durch „Midas“ – einer Gitarrenlandschaft, die sich klanglich eindringlich und facettenreich zeigt. Auf „Midas“ trifft die rohe Energie des 90er-Jahre-Noise-Grunge auf introspektiven Post-Punk. Zusammen ergibt das 100 Prozent Wunderhorse, die hier beweisen, warum sie sich in den vergangenen Jahren einen Namen als eine der spannendsten, neuen Gitarrenbands Großbritanniens erspielt haben.
Veröffentlichung: 30. August 2024
Label: Communion